13. November 2009

Im Druck

Buchtipp: Biologie für die Seele

Ein ungewöhnliches Buch zum Hintergrund von Depressionen und ihrer Behandlung


von Cornelia Dick-Pfaff


"Von einer Depression betroffen zu sein, ist eine der schlimmsten Erfahrungen, die ein Mensch machen kann", schreibt Professor Florian Holsboer im Vorwort seines Buchs "Biologie für die Seele". Gleich ob jemand die Krankheit lieber über Jahre konsequent verschweigt oder offen mit ihr umgehen kann - sie ist eine enorme Last für Betroffene und Umfeld. Und auch wenn allein in Deutschland schätzungsweise rund vier Millionen Menschen betroffen sind, bleibt sie doch heutzutage häufig ein Tabuthema wie auch der Fall des Fußballers Robert Enke zeigt. Trotzdem: Bücher zu dem Thema gibt es reichlich. Doch "Biologie für die Seele" ist wohl ein wenig anders als die meisten Bücher über Depressionen.

 

Es ist kein Leitfaden für Betroffene oder Angehörige. Dafür beleuchtet der Chemiker, Psychiater und Direktor des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München ausführlich medizinische Grundlagen und biologische Zusammenhänge. Der Leser erhält fundierte Informationen und eine Menge Fakten zum Thema, stets sehr menschlich, einfühlsam und spannend zu lesen. Er liefert aber nicht nur spannende Einblicke in die Forschungsgeschichte der Depression, sondern auch in seinen persönlichen Werdegang von der Chemie in die Medizin. "Biologie für die Seele" ist also ebenso Autobiographie.

 

Sehr anschaulich und verständlich erläutert Holsboer medizinisch-biologische Zusammenhänge, legt die den Depressionen zugrunde liegenden Vorgänge im Gehirn dar, soweit sie heute bekannt sind. Ebenso beschreibt er ausführlich und medizinisch fundiert zentrale Durchbrüche in der Depressionsforschung in den vergangenen Jahrzehnten und nimmt auch kein Blatt vor den Mund, was Wirren von Forschung und Pharmaindustrie betrifft. Eine Vielzahl von Beispielen macht es leichter, die mitunter sehr komplexen Zusammenhänge zu verstehen. Dennoch wird der Laie vermutlich an der ein oder anderen Stelle an seine Grenzen stoßen.

 

Unterbrochen und gleichermaßen gewürzt werden die wissenschaftlichen Abschnitte von der Lebensgeschichte Holsboers. Nach und nach erfährt der Leser in diesen Kapiteln, wie er seinen Weg vom Studium der Chemie in die Medizin und die Psychiatrie fand und wie ihn seine Begeisterung für die Chemie und seine Kenntnisse ihn auch in der Medizin weiterbrachten. Der letzte Teil des Buches schließlich beschäftigt sich mit der Vision einer personalisierten Medizin, beschreibt, wie diese neue Art der Medizin aussehen müsste, damit bei Krankheit zielgerichtet geholfen oder vorgebeugt werden kann - auch bei solch komplexen seelischen Problemen wie einer Depression. Der Schlüssel zu diesem Trend der künftigen Medizin liegt in gezielten Tests wie beispielsweise Gen-Tests, mit denen Risiken und Behandlungsansätze für jeden individuell bestimmt werden und die Therapie optimiert werden kann. "Wir wollen individuelle Medizin machen, indem wir herausfinden: Was hat der einzelne Patient oder der einzelne Noch-nicht-Patient für ein Risikoprofil, aufgrund dessen er später einmal krank werden wird?", so Holsboer.

 

So spannend und gleichzeitig auch unterhaltsam das Buch zu lesen ist, mancher könnte womöglich etwas vermissen, denn mögliche Alternativen zu einer Behandlung mit Psychopharmaka wird man vergebens suchen. Auch wenn es bei leichten Depressionen durchaus sein kann, dass es nicht unbedingt gleich die Pharmakeule benötigt, spielen leichtere Fälle in Sachen personalisierte Medizin und Therapie mit Psychopharmaka kaum eine Rolle für Holsboer. Um die geht es ihm in dieser Hinsicht auch nicht, sondern um die schweren. "Zu behaupten, man könne schwerkranke Menschen mit völliger Antriebs- und Perspektivenlosigkeit auch ohne Medikamente heilen, wäre eine Trivialisierung", bringt es Holsboer auf den Punkt. In der Kombination wiederum hat die Psychotherapie für ihn durchaus ihren Platz. Sein Rat: "Am besten ist es, Medikamente mit Psychotherapie zu kombinieren."

 

 

Biologie für die Seele - Mein Weg zur personalisierten Medizin

Von Florian Holsboer, C.H.Beck 2009, 304 S.: Mit 18 Abbildungen. Gebunden

ISBN 978-3-406-58360-5

19,90 Euro

 


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