06. Dezember 2010

Im Druck

Wie der Mensch wurde, was er isst.

von Joachim Czichos

Was ist eine gesunde Ernährung? Diese Frage beantwortet zwar auch das Buch des Wissenschaftstheoretikers Franz Wuketits nicht. Aber der Autor präsentiert Fakten und Theorien aus der Evolutionsbiologie des Menschen, die helfen, darüber biologisch fundiert nachzudenken. Wir erfahren, wie sich während der Evolution vom Australopithecus bis zum Homo sapiens von heute die Ernährungsweise verändert hat. Dabei ist eine wechselseitige Beziehung nahe liegend: Bessere Ernährung förderte die Hirnentwicklung, ein immer leistungsfähigeres Denkorgan verbesserte die technischen Fähigkeiten, die wiederum neue Nahrungsquellen erschlossen.

"Wir müssen uns darauf besinnen, wer wir sind und woher wir kommen" – auch wenn es um die Ernährung geht. Das ist der Grundgedanke in diesem gut und unterhaltsam geschriebenen Büchlein. Weitgehende Einigkeit herrscht unter Biologen darüber, dass die Vorfahren des modernen Menschen während mehr als vier Millionen Jahren Allesfresser waren: Die Kost bestand aus einer Mischung von pflanzlichen und tierischen Produkten. Daher gibt es keinen biologischen Grund, den Vegetarismus als die natürliche Ernährungsweise des Menschen anzusehen. Wahrscheinlich ernährten sich bereits die Australopithecinen nicht nur von Pflanzen, sondern auch von Aas und kleinen Tieren. Im Verlauf der weiteren Entwicklung bis zum Jäger und Sammler hat der Fleischanteil an der Nahrung immer mehr zugenommen. Aber auch die Nutzung des Feuers und die Erfindung des Kochens erweiterten das Nahrungsspektrum. Nach der Koch-Hypothese ist die erhitzte Nahrung die für den Menschen typische Kost: Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das Kochen kann. Mit Ackerbau und Viehzucht ist es dem Menschen dann gelungen, seine Nahrung selbst zu erzeugen. Die industrielle Lebensmittelproduktion war schließlich der letzte Schritt in der Entwicklung zum heutigen Nahrungsüberangebot in den Industrieländern.

Unsere Ahnen haben sich "richtig" ernährt, sonst gäbe es uns heute gar nicht, schreibt Wuketits. Und obwohl sein Buch ausdrücklich kein Ernährungsratgeber sein will, lässt er es sich doch nicht nehmen, eine Art Steinzeitnahrung zu empfehlen. Unser Erbgut hätte sich seit der Jungsteinzeit nicht wesentlich verändert. Daher sei die Ernährung der Steinzeitmenschen an die menschliche Biologie und insbesondere sein Verdauungssystem angepasst. Bleibt die Frage, ob nicht die inzwischen völlig veränderte Lebensweise dagegen spricht, den prähistorischen Speiseplan heute einfach zu übernehmen. In einer Zeit, in der immer wieder Hungerperioden auftraten, war Völlerei in den kurzen Zeiten des Nahrungsüberschusses eine biologisch sinnvolle Anpassung, um Fettreserven anzulegen. Heute führt dieses Verhalten in der Wohlstandsgesellschaft zur "Überernährung" – einem Problem, mit dem bisher kein anderes Lebewesen zu kämpfen hatte.

Etwas wunderlich ist die Auffassung des Autors, dass ein reichhaltiges Müsli-Frühstück und ein frühes Abendessen aus evolutionsbiologischer Sicht falsch seien: Der Steinzeitmensch sei morgens ohne Frühstück zur Nahrungsbeschaffung aufgebrochen! Und wie um seine eigenen Ernährungsgewohnheiten biologisch zu rechtfertigen, fährt Wuketits fort: Sein Tag beginne meist spät mit einem kleinen Espresso und ende mitunter mit einem ordentlichen Stück Speck zu mitternächtlicher Stunde. Was will er uns damit sagen? Jeder soll auf seinen Körper hören und seine ganz individuelle "richtige" Ernährung pflegen. Und subjektives Wohlbefinden gehöre dazu. Das liest man gern.


Wie der Mensch wurde, was er isst. Die Evolution der menschlichen Ernährung von Franz M. Wuketits, S. Hirzel Verlag, Stuttgart, 2011, 152 Seiten, ISBN 978-3-7776-2114-2, 19,80 Euro

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