13. Dezember 2021

Im Druck

Philipp Kohlhöfer: Pandemien – Wie Viren die Welt verändern

von Joachim Czichos

In seinem Vorwort bezeichnet der Virologe Christian Drosten dieses Buch als „Popliteratur“ und spricht von einem „ganz eigenen Stil“, den man von einem populärwissenschaftlichen Buch so nicht erwartet. Tatsächlich wirkt der lockere unkonventionelle Ton zunächst etwas befremdlich. So schreibt Philipp Kohlhöfer über Immunzellen, die einen Zytokinsturm bei einer COVID-Erkrankung auslösen: „Alle sind in heller Aufregung und kriegen sich nicht mehr ein.“ Oder, wenn er von seinem Besuch im Friedrich-Loeffler-Institut auf der Insel Riems berichtet: Wenn man dem Forscher Rainer Ulrich per Post „frische Ratte mit Virenverdacht“ schickt, sei der „vermutlich der Einzige, der sich über so ein Paket freut“ (da er nach Hantaviren in Nagetieren sucht). Schnell weiß der Leser aber, den eigenwilligen Schreibstil zu schätzen und auch die zunächst chaotisch erscheinende Gesamtkomposition aus Textblöcken gerne zu akzeptieren.

Der Autor will die menschlichen Aspekte von Forschungsarbeit betonen und eine „Vorstellung davon vermitteln, wie sich das Leben als Wissenschaftler anfühlt“, so Drosten. Es ist das Ziel, an vielen Beispielen leicht verständlich darzustellen, warum und wie Pandemien entstehen. Meist sind die Erreger Viren, die von einem Tier auf den Menschen übergesprungen sind. „Die größte Waffe, die die Menschheit im Kampf gegen Seuchen hat“, sei die Wissenschaft, macht Kohlhöfer klar. Derzeit gebe es mindestens 40 bekannte Viren mit Pandemiepotenzial. Noch beunruhigender sei allerdings die unbekannte Zahl weiterer solcher Viren, die noch gar keiner kennt. Gegen diese lassen sich keine vorsorglichen Schutzmaßnahmen ergreifen.

Das gut recherchierte Sachbuch liest sich teilweise wie ein spannender Roman. Er beginnt mit: „Als Christian Drosten zum ersten Mal von einem neuen Virus hört, sind es noch 72 Tage bis zur ersten Morddrohung.“ Drosten ist einer von mehreren Hauptpersonen, deren Geschichte aber nicht durchgehend erzählt, sondern immer wieder von Berichten zu anderen Themen unterbrochen wird. Verteilt über knapp 500 Seiten lernt man sämtliche Stationen von Drostens wissenschaftlicher Laufbahn kennen: von der Doktorarbeit, seiner Jagd nach Fledermäusen in Ghana, vom Arbeitsalltag in der Charité bis zum Nachweis von SARS-Coronaviren. Neben allgemeinen Informationen über Zoonosen, Intensivmedizin bei Lungenpatienten, Impfstoffe und Verschwörungstheorien (die es schon damals genau wie heute gab) wird über frühere Pandemien berichtet – entweder aus Sicht der Patienten oder der beteiligten Ärzte. Influenza, Ebola, Pocken und HIV kommen zur Sprache. Wir erfahren, wie wichtig Fledermäuse und Flughunde als Erregerreservoir oder Überträger sind. „Niemand ist so mobil und sozial und gesellig“ wie Fledermäuse und Menschen, erklärt Kohlhöfer.

Der beste Schutz gegen Pandemien seien stabile Ökosysteme und der Schutz von Wäldern – nicht nur in den Tropen, sondern auch bei uns, betont der Autor. Es sei wichtig, natürliche Lebensräume der heimischen Tierwelt und eine große Artenvielfalt zu erhalten. Das erschwere die Virusausbreitung und verringere Kontakte zwischen infizierten Wildtieren und Menschen. Dadurch sinkt das Risiko für neue Zoonosen. Aber auch Massentierhaltung und illegaler Tierhandel erhöhen das Seuchenrisiko.

In der Vergangenheit sind immer wieder tödliche Erreger vom Tier auf den Menschen übergesprungen. Dabei blieben die Ausbrüche meist begrenzt und die genaue Ursachen oft unbekannt. Wussten Sie, dass Mozart zusammen mit einigen Dutzend anderen Männern in Wien laut ärztlicher Diagnose am „hitzigen Frieselfieber“ gestorben ist? Heute vermuten einige Virologen, dass hinter dieser Krankheitsbezeichnung eine Infektion mit Hantaviren stecken könnte – Erreger mit hohem Seuchenpotenzial.


Philipp Kohlhöfer: Pandemien – Wie Viren die Welt verändern, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 2021,  ISBN 978-3-10-397089-0,  25 Euro
Weitere Kritiken:


 

Home | Über uns | Kontakt | AGB | Impressum | Datenschutzerklärung
© Wissenschaft aktuell & Scientec Internet Applications + Media GmbH, Hamburg