13. März 2019

Im Druck

Prof. Dr. med. Sven Gottschling mit Lars Amend: Wer heilt, hat recht – Chancen und Grenzen der Alternativmedizin

von Joachim Czichos

Nichts spricht dagegen, ein eigentlich unwirksames Heilmittel einzusetzen, wenn das aufgrund eines starken Placeboeffekts dem Patienten hilft. Hier gilt: „Wer heilt, hat recht“. Dieses Prinzip sei jedoch kein Blankoscheck für sämtliche Heilmethoden, wie die Autoren des gleichnamigen Buches feststellen. Einige Praktiken der Alternativ- und Komplementärmedizin bezeichnen Prof. Sven Gottschling und Lars Amend als „gefährlichen Blödsinn“ und zwar dann, wenn die Behandlung eine lebensrettende schulmedizinische Therapie verhindert, Patienten abhängig macht oder sie in den wirtschaftlichen Ruin treibt. Gottschling arbeitet als Schmerztherapeut und Palliativmediziner am Uniklinikum des Saarlandes. Dabei ist er ungewöhnlich aufgeschlossen für die Alternativ- und Komplementärmedizin, deren Verfahren er häufig anstelle von oder kombiniert mit Methoden der Schulmedizin einsetzt. Man müsse auch den psychologischen Nutzen einer Behandlung anerkennen und wertschätzen – selbst wenn deren Wirksamkeit durch Studien nicht nachgewiesen ist. „Ganz grundsätzlich vertrete ich die Auffassung, dass uns Profis keine generelle Ablehnung oder abfällige Einschätzung solcher Behandlungsmethoden zusteht.“ Viele Heilerfolge der Alternativmedizin beruhen auf dem Placeboeffekt: Die persönliche Zuwendung des Heilers und seine Überzeugungskraft aktivieren Selbstheilungskräfte im Patienten, wovon übrigens auch Schulmediziner profitieren. Zudem werde die Wissenschaftlichkeit der Schulmedizin überschätzt: „Das meiste von dem, was in unseren (medizinischen) Lehrbüchern steht, ist lediglich überliefertes Erfahrungswissen.“

Das Buch ist, Gott sei Dank, weniger ein Resümee von Beiträgen aus der Fachliteratur, sondern beruht zum großen Teil auf persönlichen Erlebnissen und Erfahrungen eines Klinikarztes. Das trägt erheblich zum Lesegenuss bei. Daher geht es auch zu Beginn um Behandlungsmethoden, die der Autor bei seiner Arbeit einsetzt und von deren Wirksamkeit er sich selbst überzeugen konnte. Relativ viel Platz nehmen dabei Berichte über den Einsatz von Cannabispräparaten und Methadon zur Schmerz- und Suchttherapie ein. Ausführlich dargestellt und positiv bewertet wird auch die Akupunktur, die sich sowohl alternativ als auch ergänzend zu schulmedizinischen Verfahren bei unterschiedlichen Beschwerden bewährt habe. Damit geht Gottschling wenigstens auf einen Teil der Traditionellen Chinesischen Medizin ein. Dagegen thematisiert er die traditionelle indische Heilkunst des Ayurveda gar nicht. In seinem Buch fehle sicherlich vieles, was der ein oder andere schmerzlich vermisst, räumt er selber ein.

Die Themenbereiche der sogenannten „Besonderen Therapierichtungen“ dürften wohl viele Leser besonders interessieren: Es geht um Homöopathie, Anthroposophische Medizin und Pflanzenheilkunde. Das größte dieser Kapitel behandelt die Homöopathie, die – wie der Autor betont – nicht zu den Naturheilverfahren zählt, da die eingesetzten Inhaltsstoffe meist extrem verdünnt werden, so dass von ihnen direkt keine Heilwirkung mehr ausgehen kann. Eine Wirksamkeit der Homöopathie bei Erwachsenen sei durch Studien nicht belegt. Seine Ablehnung gegenüber dieser Heilmethode macht er unter anderem dadurch deutlich, dass er eine Reihe höchst sonderbarer homöopathischer Arzneimittel auflistet, darunter Hühnerdarm, Hodenextrakt, Uhu als Ganzes oder als Bürzeldrüsensekret, Schießpulver und „Excrementum canium“ (= Hundescheiße). Unverständlicherweise entschuldigt sich der Autor am Ende des Kapitels für seine Einstellung („Die Homöopathie ist eine vollkommen überschätzte und nachweislich wirkungslose Therapieform.“), mit der er niemanden verletzen wolle.

Anthroposophische Medizin und Pflanzenheilkunde schneiden etwas besser ab. Vom Nutzen der Therapiebegleithunde, die auf seiner Station eingesetzt werden (zum Beispiel beim „Kontaktliegen“ im Bett des Patienten), ist Gottschling überzeugt. Der Kontakt mit dem Tier wirke schmerzlindernd und angstlösend und verbessere die Lebensqualität totkranker Menschen. Über ähnlich positive Erfahrungen berichtet er von der Musik-, Kunst- und Hypnosetherapie. Keinerlei Verständnis kann er für beliebte Heilmethoden wie Bachblüten- und Eigenbluttherapie oder Schüßlersalze aufbringen, die ganz kurz im vorletzten Kapitel abgehandelt werden.

Durch die in lockerem Schreibstil erzählten zahlreichen Fallbeispiele und Erlebnisse mit Patienten („Ich kenne Noah seit seinem neunten Lebensmonat …“) liefert das Buch, leicht lesbar und verständlich, kompetente Informationen, Einschätzungen und Ratschläge als Diskussionsgrundlagen zu einem Thema, das eigentlich jeden interessiert.


Prof. Dr. med. Sven Gottschling mit Lars Amend: „Wer heilt, hat recht - Chancen und Grenzen der Alternativmedizin“, FISCHER Taschenbuch, 2019, ISBN 978-3-596-70317-3, 320 Seiten, 16,99 Euro

 

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