Warum Bonobos gerne Babysitter spielen

Wer sich zeitweise um kleine Kinder anderer Gruppenmitglieder kümmert, steigert dadurch indirekt auch den eigenen Fortpflanzungserfolg
Bonobos und Schimpansen sind die engsten noch lebenden Verwandten des Menschen.
Bonobos und Schimpansen sind die engsten noch lebenden Verwandten des Menschen.
© Pierre Fidenci / Creative Commons (CC BY-SA 2.5), https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5/deed.en
Eugene (USA) - Bei vielen in Gruppen lebenden Säugetieren, so auch bei Affen, kümmern sich nicht nur die Mütter um ihre Jungen. Auch andere Gruppenmitglieder – Männchen und Weibchen, alte und junge, verwandt oder nicht – nehmen zeitweise Kontakt zu einem Jungtier auf. Sie betätigen sich entweder als fürsorgliche Babysitter, indem sie das Kind herumtragen, füttern oder beschützen und sein Fell pflegen. Oder aber sie verhalten sich ihm gegenüber unfreundlich bis aggressiv. Es gibt mehrere Hypothesen, die zu erklären versuchen, warum sich dieses Verhalten entwickelt haben könnte. Amerikanische Anthropologen haben die Hypothesen jetzt für Bonobos überprüft. Wie beim Menschen hat sich demnach wahrscheinlich auch bei den Zwergschimpansen die Unterstützung des Nachwuchses von Verwandten in der Evolution als vorteilhaft erwiesen. Aber auch das Knüpfen nützlicher sozialer Beziehungen zwischen Babysitter und Mutter des Kindes sowie ein Lerneffekt für junge Weibchen im Umgang mit einem Baby könnten dabei eine Rolle gespielt haben, berichten die Forscher im Fachblatt „Physiology & Behavior“.

„Die Erforschung dieses Verhaltens dient dem Verständnis von Evolutionsmechanismen, die zum Fortpflanzungserfolg des Menschen und seiner Vorfahren beigetragen haben“, schreiben die Wissenschaftler um Klaree Boose von der University of Oregon in Eugene. Im Verlauf der Evolution des Menschen hat sich für die Frauen die Zeit zwischen zwei Geburten sehr stark verkürzt, was das Wachstum der menschlichen Populationen beschleunigte. Die Hypothese der Verwandtenselektion erklärt das dadurch, dass Verwandte die jungen Mütter bei der Versorgung des Nachwuchses unterstützt und so deren biologische Fitness verbessert und die Verbreitung gemeinsamer Gene gefördert haben. Es gibt aber noch weitere, sich nicht ausschließende Erklärungen für das Interesse von Affen und Menschen an den Kindern anderer, auch nicht verwandter Gruppenmitglieder.

In einem Zeitraum von fünf Jahren sammelten die Forscher Daten über das Verhalten einer Gruppe von 19 Bonobos in einem Zoo. Sie beobachteten 1778 Vorfälle, bei denen ein Affe sich mit einem Jungtier beschäftigte, das nicht das eigene Kind war. Nur bei 78 solcher Beobachtungen war das Verhalten unfreundlich und bestand aus kleineren oder auch heftigen Attacken. Schon die geringe Häufigkeit dieser Aggressionen spricht gegen eine Hypothese, nach der konkurrierende Weibchen den Kontakt mit den Jungen anderer deshalb suchen, um sie zu entführen, zu misshandeln oder gar zu töten. Unter den in der Mehrzahl freundlich handelnden Babysittern waren zwar auch Männchen und ältere Weibchen, es überwogen aber jüngere Weibchen vor dem Erreichen der sexuellen Reife. Diese könnten sich durch ihr Verhalten im Umgang mit einem Kleinkind üben, so dass sie später das eigene Kind besser versorgen können. Insgesamt waren zudem die meisten Babysitter mit der Mutter verwandt. Im Sinne der Verwandtenselektion wird also die Mutter entlastet, hat mehr Zeit zur Nahrungssuche, produziert mehr Milch – was das Wachstum des Kindes beschleunigt – und kann früher wieder schwanger werden. Das steigert die biologische Fitness von Babysitter und Mutter.

Auch für die Hypothese der Allianzbildung fanden die Forscher unterstützende Hinweise: Wer einer Mutter bei der Betreuung ihres Kindes geholfen hat, wird bei späterer Gelegenheit im Fall eines sozialen Konflikts durch die Mutter eher unterstützt als andere. Keine Bestätigung ergab sich dagegen für die Annahme, dass die Hilfe bei der Kinderbetreuung auf dem Prinzip einer gleichartigen Gegenleistung beruht: Weibchen, die selbst Mütter waren, betätigten sich nicht häufiger als Babysitter als andere Weibchen. Die Anthropologen konnten ihre Schlussfolgerungen weiter untermauern, indem sie Urinproben der Babysitter vor und nach dem Kontakt mit einem Kind auf das Hormon Oxytocin untersuchten. Dieses Hormon fördert unter anderem die Bildung sozialer Kontakte, mütterliches Verhalten und empathische Empfindungen. Bei jungen Weibchen stieg der Oxytocinspiegel nach dem Babysittern an, bei anderen nicht.

Um eindeutig zu klären, wie sich in der Evolution ein fürsorgliches Verhalten gegenüber jungen Gruppenmitgliedern entwickelt hat, seien nun Langzeitbeobachtungen nötig, schreiben die Autoren. Nur so sei das alles entscheidende Kriterium einer Steigerung der biologischen Fitness – also eine größere Zahl an überlebenden Nachkommen – zu ermitteln. Es müsse festgestellt werden, ob die Fürsorge durch Verwandte oder nicht Verwandte die Überlebenschancen eines Kindes verbessert, ob junge Weibchen mit Erfahrung im Umgang mit Kleinkindern tatsächlich einen größeren Fortpflanzungserfolg haben und ob das Knüpfen sozialer Kontakte durch Babysittern die biologische Fitness des Helfers wirklich steigert.

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