Neue Wirkstoffe gegen wiederkehrende Infektionen

Mit Vitamin A verwandte Substanzen töten nicht nur multiresistente, sondern auch ruhende Bakterien, gegen die herkömmliche Antibiotika unwirksam sind
Gegen multiresistente Staphylococcus aureus-Bakterien (MRSA) werden dringend neue Antibiotika gesucht (kolorierte rasterelektronenmikroskopische Aufnahme).
Gegen multiresistente Staphylococcus aureus-Bakterien (MRSA) werden dringend neue Antibiotika gesucht (kolorierte rasterelektronenmikroskopische Aufnahme).
© CDC/ Janice Haney Carr/ Jeff Hageman, M.H.S. (public domain, free of any copyright restrictions)
Providence (USA) - Bakterielle Infektionserreger haben zwei Möglichkeiten, einer antibiotischen Behandlung zu widerstehen: Zum einen, indem sie durch Mutationen Abwehrmechanismen entwickeln. Zum anderen können einzelne Bakterien in ein Ruhestadium übergehen, in dem sie vor allen Antibiotika geschützt sind. Amerikanische Forscher haben jetzt eine Gruppe von Substanzen entdeckt, die gegen multiresistente Staphylokokken wirken, auch wenn diese im Ruhezustand sind. Die sogenannten Retinoide sind chemisch mit dem Vitamin A (Retinol) verwandt und einige davon werden bereits für andere Zwecke medizinisch eingesetzt. Einer dieser Wirkstoffe erwies sich im Tierversuch als äußerst effektiv gegen lebensbedrohliche Infektionen durch Staphylococcus aureus vom MRSA-Typ, wie die Mediziner im Fachjournal „Nature“ berichten. Wenn klinische Studien erfolgreich verlaufen, stünde eine dringend benötigte neue Möglichkeit zur Bekämpfung chronischer oder wiederkehrender Infektionen zur Verfügung.

„Synthetische Retinoide haben das Potenzial für eine neue Klasse von Antibiotika, die eine Behandlung von derzeit schlecht therapierbaren Infektionen durch grampositive Bakterien ermöglichen“, schreiben die Forscher um Eleftherios Mylonakis von der Brown University in Providence. Sie entwickelten ein Screeningverfahren mit dem Fadenwurm Caenorhabditis elegans als Testorganismus. Kulturen der Würmer wurden zunächst mit MRSA-Bakterien infiziert. Dann gaben die Wissenschaftler jeweils eine von insgesamt etwa 82.000 chemischen Substanzen in das Nährmedium. Ohne einen solchen Zusatz starben sämtliche Tiere, 185 Testsubstanzen verlängerten die Überlebensdauer.

Als besonders interessant erwiesen sich zwei Verbindungen aus der chemischen Stoffklasse der Retinoide. Durch sie überlebten 100 Prozent der Tiere die Infektion. Die Wirkstoffe waren auch gegen zahlreiche klinische Isolate von Staphylococcus aureus und gegen Enterokokken wirksam. Gegen gramnegative Bakterien wie E. coli oder Pseudomonaden wirkten sie dagegen nicht. Untersuchungen zum Wirkmechanismus ergaben, dass die Retinoide in die Zellhülle eindringen und lebenswichtige Funktionen der Zellmembran blockieren. In Laborkulturen schädigten sie dadurch sogar Ruhestadien der Staphylokokken, so dass auch diese besonders hartnäckigen Erregerformen starben. Versuche, resistente Mutanten in Laborkulturen zu erzeugen, blieben ohne Erfolg.

Mit einer chemisch abgewandelten Form einer der beiden Retinoide gelang es den Forschern, Mäuse zu heilen, die mit MRSA-Bakterien infiziert waren und unbehandelt starben. Diese Tiere dienten als Modell für chronische Infektionen beim Menschen. Die Zellen der Tiere wurden durch die Behandlung nicht erkennbar geschädigt. Eine Kombinationstherapie mit dem Antibiotikum Gentamicin verstärkte die Wirksamkeit. Die Wissenschaftler vermuten, dass das Retinoid die Zellmembran der Bakterien für Gentamicin durchlässiger macht. Bei Bakterien im Ruhestadium könnte das Retinoid auch kurzzeitig den Stoffwechsel aktivieren, was es einem zuvor unwirksamen Antibiotikum wie Gentamicin ermöglichen würde, die Bakterien abzutöten, schreiben Julian Hurdle und Aditi Deshpande vom Texas A&M Health Science Center in einem begleitenden Kommentar.

Nach Angaben der Forscher sind etwa 4000 chemisch hergestellte Retinoide verfügbar. Darunter gebe es möglicherweise weitere Varianten mit starker antibakterieller Wirkung. Als Ausgangssubstanzen für zusätzliche chemische Veränderungen könnte deren Effektivität noch gesteigert und die Verträglichkeit optimiert werden. Das wäre, so Hurdle und Deshpande, ein wichtiger Erfolg im Kampf gegen die immer bedrohlichere Ausbreitung resistenter Bakterien.

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