Doping für künstliche Muskeln

Verdrillte Fasern erreichen eine dutzendfach höhere Energiedichte als natürliche Muskeln
Künstlicher Muskel aus einer verdrillten Faser aus Polyethylen und einem Olefin-Copolymer.
Künstlicher Muskel aus einer verdrillten Faser aus Polyethylen und einem Olefin-Copolymer.
© P. Anikeeva, MIT
Cambridge (USA)/Richardson (USA) - In jedem Menschen arbeiten 656 Muskeln, die vom Laufen, Kauen oder Heben eine Vielzahl von Bewegungen ermöglichen. Auch Roboter könnten in Zukunft über künstliche Muskeln verfügen und die heute verwendeten Hydraulikmodule oder Elektromotoren ersetzen. Zwei Forschergruppen in den USA präsentieren in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Science“ neue Konzepte für künstliche Muskeln. Alle Prototypen basieren auf verdrillten Fasern aus unterschiedlichen Materialien und lassen sich mit Wärme, elektrischen Pulsen oder Alkoholdämpfen antreiben. Diese künstlichen Muskeln können auf ihr Gewicht bezogen teils bis zu vierzigfach größere Kräfte ausüben als menschliche Muskeln.

„Wir fertigten unsere künstlichen Muskeln aus einem Sandwich aus zwei Materialien“, sagt Polina Anikeeva vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge. Gemeinsam mit ihren Kollegen legte Anikeeva zwei verschiedene Kunststoffe – Polyethylen und ein Olefin-Copolymer – übereinander und zog daraus nur etwa ein Fünftel Millimeter dünne, so genannte bimorphe Fasern. Ohne Zuglast verdrillten sich diese spontan zu einer Spirale. Mit einem Heizluftfön um etwa zehn Grad aufgeheizt zog sich diese Faser schnell zusammen. Verantwortlich dafür war die deutlich unterschiedliche Wärmeausdehnung der beiden Kunststoffe. Beim Zusammenziehen konnte eine einzige Faser mühelos ein Ein- Gramm-Gewicht heben. Das enstprach etwa dem 650-fachen des Eigengewichts der Faser.

Ein anderes Konzept verfolgt die Gruppe um Ray Baughman, die an der University of Texas at Dallas schon seit 15 Jahren an muskelartigen Fasern arbeitet. Diese konnten die Forscher nun ebenfalls mit verdrillten Fasern und einer aktiven Ummantelung weiter verstärken. Deutlich kräftiger als menschliche Muskeln arbeiteten ihre Prototypen aus Nylonfäden, Seide- oder Bambusfasern. Verantwortlich dafür war eine Ummantelung aus verschiedenen Materialien, die auf Strom, Wärme oder Ethanoldämpfe reagierten. „Dieser Mantel verleiht den Muskeln eine höhere Energiedichte, damit sie pro Zyklus eine größere Arbeit verrichten können“, sagt Baughman.

So dehnte sich ein Mantel aus Nanoröhrchen aus Kohlenstoff, wenn eine elektrische Spannung von bis zu vier Volt angelegt wurde. Dieses Anschwellen führte dazu, dass sich die verdrillte Faser wieder etwas ausdrehte und verlängerte. Ohne Spannung zog sie sich wieder zusammen. Die gleiche reversible Dehnung und Kontraktion verursachte auch ein Mantel aus dem Kunststoff Polyurethan. Dieser schwoll allerdings beim Erwärmen auf bis zu 97 Grad an und schrumpfte beim Abkühlen. Eine Hülle aus einem speziellen Copolymer – kombiniert aus Polyethylenoxid, Tetrafluoroethylen und Sulfonylfluoridvinylether – reagierte dagegen in einer Atmosphäre aus Ethanoldämpfen mit dem gewünschten Anschwellen. Der kräftigste Muskel aus einer mit Kohlenstoffnanoröhrchen ummantelten Nylonfaser erreichte eine Zugleistung von knapp zwei Watt pro Gramm – das Vierzigfache von menschlichen Muskeln. In ersten Versuchen hob er ein 21-Gramm-Gewicht mehrmals hintereinander an.

Reif für den Einsatz in Roboter oder Prothesen für Gliedmaßen sind solche künstlichen Muskeln – angetrieben mit Wärme oder elektrischer Spannung – noch nicht. Erst zu Hunderten oder Tausenden gebündelt könnten sie ausreichend starke Zugkräfte aufbringen. Dazu müssen sie noch ihre Stabilität über Abertausende Kontraktions- und Dehnungszyklen unter Beweis stellen.

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