Wölfe töten rächt sich
„Ich hatte keine Ahnung, wie die Ergebnisse sein würden – positiv oder negativ“, erzählt Rob Wielgus vom Large Carnivore Conservation Laboratory an der Washington State University. „Ich hab mir gesagt ‚Schauen wir uns das mal an und gucken was passiert.’ Ich war überrascht, dass es einen großen Effekt gab.“ Zwar ist es gängig, Schafe und andere Herdentiere vor Wölfen zu schützen, indem die Räuber zur Strecke gebracht werden. Diese Vorgehensweise ist laut Wielgus und seiner Kollegin Kaylie Peebles allerdings lediglich eine weitgehend anerkannte, aber nicht überprüfte Hypothese. Gemeinsam hatten die beiden daher untersucht, welche Auswirkungen es hat, wenn Wölfe getötet werden – ob infolgedessen tatsächlich weniger Nutzvieh gerissen wird. Dazu analysierten die Forscher Daten der „U.S. Fish and Wildlife Services Interagency Annual Wolf Reports“ aus den US-Bundesstaaten Idaho, Montana und Wyoming. Die Zahlen stammten aus den Jahren 1987 bis 2012 und beinhalteten Angaben zu getöteten Wölfen sowie zu auf Wölfe zurückzuführende Verlusten bei Nutztierherden.
Ihr Ergebnis: Nur einen einzigen Wolf zu töten, führte dazu, dass im darauf folgenden Jahr vier Prozent mehr Schafe und fünf bis sechs Prozent mehr Rinder gerissen wurden. Wenn zwanzig Wölfe getötet wurden, verdoppelte sich die Verlustrate unter den Nutztieren. Erst wenn mindestens ein Viertel der Wölfe getötet wird, was vor allem auf lange Sicht nicht praktikabel ist, stellt sich ein Schutzeffekt ein und es wird tatsächlich weniger Nutzvieh gerissen.
Als mögliche Gründe für die wohl kaum erwünschten Auswirkungen der Wolfsjagd nennen Wielgus und Peebles unterschiedliche Folgen durch zerstörte etablierte Rudelstrukturen. So ist einerseits denkbar, dass sich ein Rudel zerstreut, was Auswirkungen auf die Jagdreviere haben kann. Andererseits kann es im Ausgleich für den Verlust von Rudelmitgliedern geschehen, dass mehr Paare Nachwuchs bekommen als normal und es dadurch mehr Wölfe gibt. Denn in einer intakten Rudelstruktur verhindert ein festes Paar, das sich gefunden hat und regelmäßig Nachwuchs zeugt, dass jüngere Artgenossen sich ebenfalls paaren. Insbesondere der Tod einer Wölfin oder eines Wolfsrüden aus einem solchen hochrangigen Wolfspaar zerstört dieses funktionierende Sozialgefüge. Die Folge: Die übrigen geschlechtsreifen Wölfe paaren sich unkontrolliert und es gibt mehr Nachwuchs als gewöhnlich. Darüber hinaus bleiben die Tiere wegen der Jungen zunächst relativ ortsgebunden. Da sie keine so großen Streifzüge wie gewohnt unternehmen, um Wild zu finden, reißen sie dann eben auch mal Nutzvieh in der Gegend.
Grundsätzlich stellen Wölfe nur eine geringe Bedrohung für Viehbestände dar. Lediglich ein verschwindend geringer Prozentsatz toten Viehs ist laut Wielgus auf Wölfe zurückzuführen. Schätzungen zufolge sind sie für 0,1 bis 0,6 Prozent der Todesfälle unter Nutztieren verantwortlich. Andere Raubtiere und Krankheiten, Unfälle oder schlichtweg die Risiken einer Geburt sind die weit häufigeren Todesursachen. Wielgus arbeitet in einer weiteren Studie noch daran, wie sich Nutzvieh mit nicht tödlichen Möglichkeiten effektiv vor Wölfen schützen lässt – etwa mit Schutzhunden, Reitpatrouillen, Flaggen oder Scheinwerfern. Dazu arbeiten die Forscher mit Funksendern zur Überwachung der Tiere. Auch wenn es immer wieder zu vereinzelten Vorfällen kommen wird: Den bisherigen Ergebnissen zufolge scheinen diese sanfteren Schutzmaßnahmen durchaus Wirkung zu zeigen und die Herden zu schützen.
Der Wolf steht unter Naturschutz. Auch in Deutschland werden seit 1998 wieder zunehmend wild lebende Wölfe gesichtet, laut Stand vom 15.10.2014 insgesamt 35 Paare oder sogar Rudel. Die Tiere wanderten von Osten her ein und tauchten zunächst in Sachsen in der Oberlausitz auf. Mittlerweile konnten sie auch in anderen Teilen Deutschlands beobachtet werden, darunter in Niedersachsen. Wölfe stellen im Grunde keine Gefahr für den Menschen dar, da sie überaus vorsichtig, misstrauisch und scheu sind und seine Nähe meiden. Vereinzelt kommt es trotzdem tatsächlich vor, dass sie ein Schaf reißen. Allerdings reichen relativ simple Schutzvorkehrungen wie Elektrozäune oder Herdenschutzhunde aus, um sie effektiv davon abzuhalten. Auch – man mag es kaum glauben – Lamas schützen eine Schafherde vor Wölfen. Die bevorzugte Beute deutscher Wölfe sind Hirsche, Rehe und Wildschweine. Bedroht sind die Raubtiere hierzulande nicht nur durch den Straßenverkehr und die Zerschneidung ihrer Lebensräume, sondern auch durch illegale Abschüsse.