Wie das Verlangen nach Süßem wächst

Konsumierter Zucker sendet vom Darm aus Signale über eine Nervenverbindung in den Hirnstamm und aktiviert dort spezielle Neuronen, die das Begehren nach Zucker verstärken
Zuckerhaltige Lebensmittel verändern die Aktivität bestimmter Hirnzellen und erzeugen ein verstärktes Verlangen nach Süßem.
Zuckerhaltige Lebensmittel verändern die Aktivität bestimmter Hirnzellen und erzeugen ein verstärktes Verlangen nach Süßem.
© Mushki Brichta / Creative Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.en
New York (USA) - Den süßen Geschmack von Zucker nehmen wir durch Sinneszellen im Mund wahr, die Signale in das Gehirn senden. Es gibt jedoch noch einen zweiten, bisher unbekannten Weg der Signalübertragung, durch den das Gehirn über den Verzehr zuckerhaltiger Nahrung informiert wird: Wenn Zucker in den Darm gelangt, aktiviert das Nervenzellen des Vagus. Dieser leitet dann Signale zum Hirnstamm und aktiviert dort spezielle Neuronen. Nur diese Reaktion, nicht aber die vom Mund ausgehende Geschmacksempfindung, löst ein Verlangen nach verstärktem Konsum von Süßigkeiten aus, wie amerikanische Forscher jetzt in „Nature“ berichten. Ein künstlicher Süßstoff kann diesen Signalweg der Darm-Hirn-Achse nicht aktivieren. Die neuen Erkenntnisse könnten dazu beitragen, eine Therapie gegen übermäßigen Zuckerkonsum zu entwickeln, die das Risiko für Diabetes und Fettleibigkeit senkt.

Auch wenn es ganz ähnlich schmecke: Für das Gehirn mache es einen Unterschied, ob ein Getränk mit Zucker oder mit Süßstoff gesüßt ist, sagt Hwei-Ee Tan aus dem Labor von Charles Zuker an der Columbia University in New York. Zwar aktivieren beide Stoffklassen dieselben Geschmacksrezeptoren auf der Zunge und in der Schleimhaut von Mund und Rachen. Aber nun haben die Forscher entdeckt, dass eine Nervenverbindung zwischen Darm und Gehirn nur auf Zucker und nicht auf Süßstoff reagiert.

Labormäuse trinken lieber gesüßtes als ungesüßtes Wasser. Allerdings spielt es durchaus eine Rolle, ob das Wasser Glukose oder den Süßstoff Acesulfam-K enthält. Vor die Wahl gestellt, machten die Tiere zunächst keinen Unterschied, bevorzugten aber nach zwei Tagen eindeutig das Zuckerwasser. Überraschenderweise entwickelten auch genetisch veränderte Mäuse, denen die Rezeptoren für süßen Geschmack im Mund fehlten, eine Vorliebe für zuckerhaltiges Wasser – obwohl sie den Zucker ja gar nicht mehr schmecken konnten.

Zudem wiesen die Forscher nach, dass durch Zucker bestimmte Neuronen im so genannten Nucleus tractus solitarii (NTS), einer Region des Hirnstamms, angeregt wurden, durch den Süßstoff dagegen nicht. Auch dann, wenn der Zucker nicht über den Mund aufgenommen, sondern direkt in den Darm eingeführt wurde, reagierten diese Neuronen und die Tiere tranken danach bevorzugt gezuckertes Wasser. Wie weitere Experimente ergaben, aktivierte der Zucker im Darm die Übertragung von Nervensignalen über den Vagusnerv in das Gehirn. Nach einer Durchtrennung dieser Nervenbahn war im NTS des Hirnstamms keine Reaktion mehr auf den Zucker erkennbar und die Mäuse zeigten kein gesteigertes Verlangen nach süßem Wasser.

Wahrscheinlich sei die Kombination aus Geschmacksempfindung über die Rezeptoren im Mund und Signalübertragung zwischen Darm und Gehirn für Tiere ein zuverlässiger Mechanismus, zuckerreiche Nahrungsquellen zu identifizieren und bevorzugt zu konsumieren, vermuten die Autoren. Es wäre interessant zu wissen, ob dieselbe Darm-Hirn-Achse auch Vorlieben für andere Nährstoffe vermitteln kann. Die Forscher halten es für möglich, neue Süßstoffe zu entwickeln, die – im Gegensatz zu den vorhandenen – einem übermäßigen Zuckerkonsum entgegenwirken könnten.

© Wissenschaft aktuell


 

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