Darm an Hirn: Direkte Verbindung über Nervenbahnen nachgewiesen

„Wir denken, das könnte die biologische Grundlage einer neuen Sinnesleistung sein, die das Gehirn darüber informiert, wann der Darm mit Nahrung und Kalorien gefüllt ist“, sagt Diego Bohórquez von der Duke University in Durham. „Das rechtfertigt die Vorstellung vom ‚Bauchgefühl‘ als einem sechsten Sinn.“ In Experimenten mit Mäusen konnten die Forscher zeigen, dass Signale aus dem Darm in weniger als 100 Millisekunden über Nerven ins Gehirn gelangen. Die bereits gut untersuchte Kommunikation durch Freisetzung von Hunger- und Sättigungshormone ins Blut benötigt dagegen mehrere Minuten.
Die Wissenschaftler untersuchten die Funktion endokriner – das heißt hormonbildender – Zellen in der inneren Zellschicht der Darmwand. Dabei bestätigte sich eine vermutete Ähnlichkeit mit Geschmacks- oder Geruchssinneszellen, die Signale über Synapsen von Nervenzellen übertragen. Als die Forscher Darmgewebe oder endokrine Darmzellen zusammen mit sensorischen Nervenzellen des Vagus in einem Nährmedium kultivierten, bildeten sich Kontakte zwischen beiden Zelltypen, die synaptischen Verbindungen ähnelten. Die Zugabe von Glukose erzeugte elektrische Signale in den Nervenzellen. Wie andere Sinneszellen auch, setzten die aktivierten Darmzellen den Neurotransmitter Glutamat in den Synapsen frei und lösten damit das Feuern der Nervenzellen aus. Die Forscher haben Hinweise darauf, dass diese Signalübertragung beim Menschen auf dieselbe Weise abläuft wie bei Mäusen.
Die endokrinen Darmzellen informieren also als Chemosensoren das Gehirn über den Inhalt des Darms und damit über die aktuelle Versorgung des Körpers mit Nährstoffen. Möglicherweise gebe es verschiedene Typen dieser Zellen, die auf unterschiedliche Nährstoffe – Zucker, Fette, Proteine – reagieren, schreiben Benjamin Hoffman und Ellen Lumpkin von der Columbia University in New York in einem begleitenden Kommentar. Einige der Sinneszellen könnten auch durch Stoffwechselprodukte von Krankheitserregern aktiviert werden und an deren Abwehr beteiligt sein. Die weitere Aufklärung der Mechanismen einer Darm-Hirn-Kommunikation würde dann auch helfen, Therapien für Darmerkrankungen zu entwickeln. Die neuen Erkenntnisse hätten jedenfalls große Bedeutung für das Verständnis der Appetitkontrolle, sagt Bohórquez. Die bisher entwickelten Appetitzügler zielten meist auf Hormone ab, nicht aber auf Synapsen. „Vielleicht ist das der Grund dafür“, so der Forscher, „dass die meisten dieser Medikamente versagt haben.“
Video: https://youtu.be/oym87kVhqm4