Virtuelles Schmecken: Strom und Lichtfarbe liefern das Aroma

Spezial-Glas mit Strohhalm ruft beim normalen Wassertrinken Geschmacksrichtungen von salzig bis süß hervor – Anwendungen für Freizeit und Gesundheit denkbar
Die Farbe beeinflusst den Geschmack, selbst bei schlichtem Wasser.
Die Farbe beeinflusst den Geschmack, selbst bei schlichtem Wasser.
© National University of Singapore
München/Singapur (Singapur) - Ein Traum für gesunde Zähne, ein Spaß für den Partyabend, die Zukunft fürs Schmecken im Internet: Das digital aufgerüstete Gefäß eines Forschungsteams aus Singapur verbindet den realen Trinkvorgang mit virtuellen Geschmackserlebnissen. Aus diesem Glas kann einfaches Wasser süß, salzig, minzig oder gar ähnlich wie Wein schmecken. Verantwortlich dafür ist die bunte Beleuchtung des Getränks kombiniert mit einem Trinkhalm, der die Zungenspitze elektrisch stimuliert. Ihren Prototyp und Testergebnisse präsentierten die Forscher jetzt in München auf der „TEI 2014“ – einer internationalen Konferenz für digitale Interaktion. Obwohl spaßorientierte Lifestyle-Anwendungen für das bunte Trinkglas nahe liegen, ist auch ein medizinischer Nutzen denkbar, etwa für Diabetiker, Karies- oder Krebspatienten.

„Diese Technologie verändert den Geschmack eines Getränks, ohne seine chemische Zusammensetzung zu verändern“, erklärte das Team um Nimesha Ranasinghe von der National University of Singapore (NUS). „Unsere Hauptmotivation ist, sie in Trinkvorrichtungen zu integrieren, um alltägliche Trinkerlebnisse zu verstärken und neue Erlebnisse zu erzeugen.“ Das sei eine Alternative zu künstlichen Getränken, die mit Farbstoffen, Zucker oder anderen Substanzen versetzt sind – von Softdrinks bis zu Cocktails.

Schon als Doktorand hatte Ranasinghe das virtuelle Schmecken erforscht. Unter anderem hatte er festgestellt, dass elektrische Stimulation sowie Temperaturen an der Zungenspitze gezielt grundlegende Geschmacksrichtungen auslösen können. Sauer, salzig und bitter wurden dabei durch Stromfluss ausgelöst und süß, minzig oder würzig eher durch Wärme oder Kühlung. Mit einem „digitalen Lolli“, so ein damaliges Fazit, ließe sich das Internet künftig auch „schmeckbar“ machen. Jetzt kombinierte Ranasinghes Team dies mit der Erkenntnis anderer Forscher, wonach auch die Farbe oder Beleuchtung eines Getränks die Geschmackswirkung im Hirn beeinflusst.

Auf den ersten Blick wirkt das digital verstärkte Trinkglas namens „FunRasa“ – übersetzt „Spaßgeschmack“ – wie ein großes Softdrinkglas auf dickem Untersetzer. Darin steckt nicht nur die Batterie, sondern auch zwei Leuchtdioden, die das Getränk von unten in rot, grün oder blau beleuchten können. Der Trinkhalm im Glas besitzt etwa dort, wo beim normalen Trinken die Zunge seine Unterseite berührt, eine Kuhle mit zwei Silberelektroden: Sie berühren die Zungenspitze von oben und unten und sind – im Prototyp – per Kabel mit dem Untersetzer verbunden. Sowohl Lichtfarbe als auch Stromintensität lassen sich mithilfe zweier Drehknöpfe am Untersetzer beliebig regeln. Den praktischen Erfolg dieser Entwicklung testete das Team in einem Workshop mit 14 Männern und Frauen zwischen 18 und 30 Jahren.

Deren Fazit reichte von „sehr cool“ und „interessant und praktisch“ bis zu „Ich bin etwas besorgt, weil ich weiß, dass da Elektrizität auf meiner Zunge ist“. Dennoch bewerteten 70 Prozent der Teilnehmer das System abschließend als einfach und gut nutzbar. In den FunRasa-Gläsern des Tests befand sich normales Wasser, die Batterie lieferte Stromstärken um 100 Mikroampere. Nachdem die Probanden das System kennengelernt hatten, durften sie die Einstellungen von Farbe und Stromstärke selbst verändern und damit herumspielen. Elf der vierzehn Probanden berichteten später von saurem Geschmack, neun von Salzigkeit, vier von bitterem und zwei von süßem Geschmack. „Interessanterweise“, so Ranasinghe und Kollegen, „versuchten sie auch, die Farben damit zu korrelieren: blau mit salzig, grün mit sauer, rot mit bitter.“ Einige hätten auch würzige, metallische oder kribbelnde Wahrnehmungen gehabt – ob dies individuell oder allgemeingültig ist, müsse nun weiter erforscht werden.

Um die virtuelle Geschmacksübertragung reproduzierbar zu machen, hat Ranasinghe bereits den passenden Code entwickelt: das „Taste-over-Internet Protocol“ (Taste/IP). Obendrein ist sein Team voller Ideen für künftige Anwendungen, eingebettet in Strohhalmen, Trinkgefäßen oder auch in Löffeln. So könnte die Technologie Diabetespatienten einen Süßgeschmack liefern, ohne dass ihr Blutzuckerspiegel steigt. Krebspatienten könnten nach einer Chemotherapie ihren gestörten Geschmackssinn wieder trainieren. Und Kinder könnte ein besonderer Trinkbecher von gezuckerten Softdrinks abbringen und gleichzeitig dazu verlocken, ausreichend Wasser zu sich zu nehmen.

Natürlich lassen sich FunRasa-Gläser auch mit Säften, Softdrinks und Alkoholika füllen und so ganz neue Geschmacksrichtungen kreieren. Schließlich schwebt den Forschern ein Zungen-Interface mit USB-Anschluss vor, das auch ans Smartphone passt. So lasse sich ein Cocktail reproduzierbar aus realem Getränk und digitalen Veränderungen zusammenstellen und das Rezept speichern: „Diese Daten können sie dann dem Barkeeper übermitteln oder auf Social Media Plattformen teilen und herunterladen lassen.“ Noch ist dies allerdings Zukunftsmusik, sagen auch die Forscher. Zunächst sei herauszufinden, ob und wie sich auch komplexe Aromen und Geschmacksrichtungen nachbilden lassen. Daran sind noch immer auch der Geruch und das Gefühl im Mund beteiligt.

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