Vaginalkeim verursacht wiederkehrende Harnwegsinfektionen
„Ein weiteres wichtiges Ergebnis unserer Studie ist, dass Gardnerella die Organe der Harnwege sogar bei Abwesenheit von E. coli schädigen kann“, sagt Amanda Lewis von der Washington University School of Medicine in St. Louis. Bisher wurden diese Bakterien nicht mit Harnwegsinfektionen in Verbindung gebracht, da sie nur selten im Urin nachweisbar waren. Offenbar genügt ein kurzzeitiger Aufenthalt in der Blase, um die Blasenwand zu schädigen und dadurch eventuell vorhandene inaktive E. coli-Bakterien zur Vermehrung anzuregen. In geringer Keimzahl kann Gardnerella vaginalis auch in der normalen Vaginalflora vorkommen, in der aber Milchsäurebakterien dominieren. Nimmt der Anteil an Gardnerella stark zu, werden spezielle Antibiotika oder Vaginalzäpfchen mit Milchsäurebakterien eingesetzt, um das Keimspektrum in der Vagina wieder zu normalisieren.
Lewis und ihre Kolleginnen gingen nun der Frage nach, ob das kurzfristige Eindringen von Gardnerella in die Blase nach einer akuten, durch E. coli verursachten Harnwegsinfektion eine Reaktivierung dieser Erreger auslösen kann. Dazu setzten sie Mäuse ein, bei denen sich vier Wochen nach einer experimentellen Infektion E. coli-Bakterien in Zellen der Harnblase eingenistet hatten. In die Harnblase dieser Tiere injizierten sie im Abstand von einer Woche zweimal Gardnerella-Bakterien. Eine zweite Gruppe von Mäusen erhielt Injektionen des Milchsäurebakteriums Lactobacillus crispatus, eines Keims der gesunden Vaginalflora. Beide verabreichten Keime waren bereits nach zwölf Stunden wieder fast vollständig aus der Blase verschwunden. Doch die kurzzeitige Besiedlung mit Gardnerella reichte aus, um die E. coli-Bakterien zur Vermehrung anzuregen, während die Behandlung mit den Milchsäurebakterien keinen solchen Effekt zeigte. Abgetötete Gardnerella-Bakterien blieben ebenfalls wirkungslos, aber die lebenden Keime hinterließen Schäden an der Blasenwand. Das könnte der Auslöser der E.coli-Reaktivierung sein. In einigen Fällen vermehrte sich E. coli so stark, dass die Infektion auch die Nieren schädigte oder zu einer lebensbedrohlichen Sepsis wurde.
„Viele Frauen schwören, dass sie jedes Mal nach dem Sex eine Harnwegsinfektion bekommen“, sagt Lewis. Eine mögliche Ursache für diesen Zusammenhang sei, dass Vaginalkeime wie Gardnerella beim Geschlechtsverkehr in die Harnwege gelangen. Wiederkehrende Harnwegsinfektionen werden üblicherweise mit Antibiotika behandelt, wodurch sich aber schnell resistente Erregerstämme entwickeln können. Ein neuer Therapieansatz bestünde darin, die Vaginalflora zu kontrollieren und frühzeitig eine Vermehrung von Gardnerella zu verhindern – sei es durch probiotische Milchsäurebakterien oder speziell auf Gardnerella abzielende Antibiotika.
Die neuen Ergebnisse könnten auch für andere Infektionen von Bedeutung sein, bei denen die Erreger zunächst in einen inaktiven Zustand übergehen und erst später aktiviert werden. Als Beispiel dafür nennen die Forscherinnen die Tuberkulose. Weltweit beherbergt jeder dritte Mensch in seinen Lungen Tuberkelbakterien im Ruhestadium. Nur bei einem geringen Prozentsatz bricht die Krankheit irgendwann aus. Es wäre nicht auszuschließen, dass auch in diesem Fall andere Bakterien, die vorübergehend in die Lunge gelangen, die Erreger reaktivieren.
Harnwegsinfektionen zählen zu den häufigsten bakteriellen Infektionen von Frauen. Nach der Ersterkrankung kommt es bei jeder vierten Frau innerhalb von sechs Monaten zu einer erneuten Infektion. Diese geht meist vom selben Erreger aus. Einige Betroffene leiden mehr als sechsmal jährlich unter einer Harnwegsinfektion.