Ausgespuckt: Ungewöhnliche Erregerabwehr bei Harnwegsinfekten

Zellen der Harnblase registrieren eingedrungene E. coli-Bakterien und bewirken den Ausstoß der Erreger – falls ihre Zerstörung nicht möglich ist
Kolibakterien können sich in Zellen der Blasenwand vor Antibiotika schützen und so wiederkehrende Harnwegsinfektionen auslösen.
Kolibakterien können sich in Zellen der Blasenwand vor Antibiotika schützen und so wiederkehrende Harnwegsinfektionen auslösen.
© Shutterstock, Bild 225019792
Durham (USA) - Körperzellen bekämpfen eingedrungene Bakterien durch chemische Mittel und Enzyme. Erst seit Kurzem ist ein weiterer Abwehrmechanismus bekannt: Bei einer Harnwegsinfektion können infizierte Zellen der Blasenwand die Bakterien gewissermaßen wieder ausspucken. Der Vorgang ist mit einem Brechreiz vergleichbar, den verdorbene Speisen auslösen, um eine Lebensmittelvergiftung zu verhindern. Wie dieser Prozess genau abläuft, haben jetzt amerikanische Mikrobiologen in Tierversuchen und mit Kulturen menschlicher Zellen aufgeklärt. Sie hoffen, nun Wirkstoffe zu finden, die eine solche Erregerabwehr verstärken und so den Behandlungserfolg bei wiederkehrenden Harnwegsinfektionen verbessern, schreiben die Forscher im Fachblatt „Cell“.

„Weil E. coli-Bakterien in der Lage sind, sich im Innern von Harnblasenzellen zu verstecken, ist eine Behandlung mit normalen Antibiotika schwierig“, sagt Soman Abraham von der Duke University in Durham, der Leiter des Forscherteams. „Wenn wir das Erregerreservoir in den Zellen eliminieren könnten, wäre es möglich, wiederkehrende Harnwegsinfektionen zu verhindern“, so Abraham. Dringt ein Bakterium in eine Zelle ein, wird es sofort von einer Membran umschlossen. Die Hülle verschmilzt dann mit bestimmten Zellorganellen, den sogenannten Lysosomen. Diese enthalten reaktive Sauerstoffverbindungen, antibiotisch wirksame Eiweißstoffe und Verdauungsenzyme, die den Erreger abtöten und auflösen können. Voraussetzung dafür ist aber ein saures Milieu, also ein niedriger pH-Wert von etwa 5, in den Lysosomen.

Die Forscher verfolgten das Schicksal von E. coli-Bakterien, die in Zellen der Blasenwand eingedrungen waren, so wie es bei Harnwegsinfektionen durch uropathogene E. coli (UPEC) geschieht. Dieser Typ von Kolibakterien ist der häufigste Erreger solcher Infektionen. Etwa 70 Prozent der Bakterien werden wieder aus den Zellen ausgestoßen und mit dem Urin ausgeschieden. Zunächst versuchen die Mikroben, ihr Überleben in den Lysosomen zu sichern, indem sie für einen Anstieg des pH-Wertes sorgen. Das aktiviert jedoch ein Protein in der Lysosom-Membran, den Kationenkanal TRPML3, der Reaktionen in Gang setzt, die schließlich das Ausstoßen der Kolibakterien bewirken. Die Erreger gelangen so in den Urin der Harnblase, sind aber nach wie vor von einer Membran umgeben. Diese Hülle verhindert, dass die Bakterien sich erneut an die Blasenwand anheften und Zellen befallen können. Deshalb werden sie beim nächsten Wasserlassen endgültig ausgeschieden.

„Früher dachte man, dass Lysosomen ihren Inhalt immer abbauen“, sagt Erstautor Yuxuan Miao. „Doch wir haben jetzt erstmals gezeigt, dass es einen Plan B gibt: Wenn ein Abbau nicht möglich ist, wird der Inhalt ausgestoßen.“ Auch in Urinproben von Patienten mit akutem Harnwegsinfekt fanden die Forscher membranumhüllte Bakterien, die wahrscheinlich aus Lysosomen der Blasenzellen stammten. Möglicherweise ist die Elimination der Erreger aus den Zellen der Harnblase bei Patienten mit wiederkehrenden Harnwegsinfektionen nicht ausreichend effektiv. Das könnte nach Ansicht der Autoren darauf beruhen, dass die UPEC-Bakterien wiederum einen Mechanismus entwickelt haben, der die Abwehrreaktion blockiert. Wenn es gelänge, den Ionenkanal TRPML3 durch einen Wirkstoff zu aktivieren, würde das zum Erfolg einer Therapie beitragen.

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