Rotkehlchen mit Quantenkompass

Protein in der Netzhaut der Vögel zeigt eine hohe Empfindlichkeit für magnetische Felder
Mit ihrem Magnetsinn im Auge orientieren sich Rotkehlchen entlang der Feldlinien des Erdmagnetfelds.
Mit ihrem Magnetsinn im Auge orientieren sich Rotkehlchen entlang der Feldlinien des Erdmagnetfelds.
© Corinna Langebrake & Ilia Solov’yov
Oldenburg/Oxford (Großbritannien) - Viele Tiere wie Zugvögel, Schildkröten oder auch einige Fische legen oft weite Strecken zurück und orientieren sich dabei am Magnetfeld der Erde. Allein die Mechanismen für diesen inneren Kompass sind bisher noch nicht vollständig verstanden. Doch nun gelang einer internationalen Gruppe um Wissenschaftler der Universität Oldenburg ein wichtiger Schritt, um dieses Rätsel zu lösen. Sie wiesen nach, dass sich ein spezielles Protein aus der Netzhaut von Rotkehlchen als extrem empfindlicher Magnetsensor eignet. In der Fachzeitschrift „Nature“ erläutern sie die Funktionsweise des Sensors, bei der auch quantenphysikalische Prozesse eine wichtige Rolle spielen.

„Unsere Ergebnisse zeigen zum ersten Mal, dass ein Molekül im Sehapparat eines Zugvogels sensitiv für Magnetfelder ist“, sagt Henrik Mouritsen von der Universität Oldenburg. Mit seiner Doktorandin Jingjing Xu und weiteren Kollegen bestimmten sie den genetischen Bauplan für das lichtaktive Molekül Cryptochrom 4, das sich in der Netzhaut von Rotkehlchen findet. In einer Bakterienkultur züchteten die Forscher größere Mengen dieses Moleküls, um mit mehreren Spektroskopiemethoden dessen optischen und magnetischen Eigenschaften genauer zu bestimmen.

Cryptochrom 4 besteht aus Ketten von mehr als 500 Aminosäuren. Fällt blaues Licht auf dieses Molekül, werden einzelne Elektronen angeregt. Diese können dann entlang von vier der insgesamt 527 Aminosäuren, den sogenannten Tryptophanen, ihre Position ändern. Dabei entstehen Paare von Radikalen mit jeweils ungepaarten Elektronen. Je nach Ausrichtung der Spins dieser Elektronen gehen die Radikal-Paare in zwei verschiedene quantenphysikalische Zustände über: Weisen die beiden Spins parallel in die gleiche Richtung, liegt ein Triplett-Zustand vor. Sind sie dagegen entgegengesetzt – antiparallel – ausgerichtet, befinden sie sich in einem Singulett-Zustand.

Genau in diesen beiden quantenphysikalischen Zuständen liegt der Schlüssel für den Magnetsinn der Rotkehlchen. Ohne äußeres Magnetfeld wechseln sich in den Radikalpaaren Triplett- und Singulett-Zustand sehr schnell millionenfach pro Sekunde ab. Doch ein auch sehr schwaches Magnetfeld – wie beispielsweise das der Erde mit nur etwa 50 Mikrotesla – kann die Symmetrie dieser schnellen Wechsel stören. So können die Radikalpaare längere Zeit im Triplett-Zustand verharren als ohne Magnetfeld.

Direkt kann das Rotkehlchen diese beiden Zustände allerdings nicht detektieren. Aber die verschiedenen angeregten Zustände führen über eine biochemische Reaktion zu zwei unterschiedlichen Folgemolekülen, die der Vogelorganismus voneinander unterscheiden kann. Da das Molekül Cryptochrom 4 wahrscheinlich über die gesamte Netzhaut des Vogels verteilt ist, werden so in der Netzhaut je nach Ausrichtung zum Erdmagnetfeld unterschiedliche Mengen der Reaktionsprodukte entstehen. Diese Verteilungsmuster dienen dann als Kompass, um dem Vogel auf seinen langen Reisen den richtigen Weg zu weisen.

Die Studie von Jingjing Xu liefert weitere wichtige Indizien dafür, dass Cryptochrom 4 die Basis für den Magnetsinn von Rotkehlchen bildet. Bei ihren Laborversuchen nutzten die Forscher jedoch Magnetfelder, die etwas stärker waren als das Erdmagnetfeld. Doch ist es wahrscheinlich, dass Cryptochrom 4 im lebenden Vogel noch eine höhere Empfindlichkeit aufweist als extrahiert im Reagenzglas. „Als weiteren Beleg müssten wir zeigen, dass diese Prozesse auch in den Augen der Vögel ablaufen“, sagt Henrik Mouritsen. Doch diese Versuche sind bisher technisch noch nicht durchführbar.

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