Darm-Hirn-Achse des Bösen: Darmkeime können psychische Störungen auslösen

Darmbakterien von Patienten mit Reizdarmsyndrom verursachen bei Mäusen Symptome der Darmkrankheit und ängstliches Verhalten
Die Darmflora beeinflusst auch die Psyche.
Die Darmflora beeinflusst auch die Psyche.
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Hamilton (Kanada) - Viele Patienten mit Reizdarmsyndrom leiden nicht nur unter gestörten Darmfunktionen, sondern auch unter Angststörungen oder Depressionen. Keimfreie Mäuse, denen Darmbakterien kranker Menschen transplantiert wurden, entwickelten sowohl Symptome der Darmkrankheit als auch ängstliches Verhalten, berichten jetzt kanadische Mediziner im Fachblatt „Science Translational Medicine“. Das zeigt, dass eine gestörte Darmflora keineswegs nur die Folge eines durch andere Faktoren ausgelösten Reizdarms ist. Die Experimente bestätigen zudem die große Bedeutung einer Darm-Hirn-Achse, über die Darmkeime spezielle Hirnfunktionen beeinflussen und damit zu neurologischen Erkrankungen und psychischen Störungen beitragen können. Andererseits ergeben sich daraus neue Möglichkeiten der Therapie.

„Unsere Ergebnisse liefern die Grundlage zur Entwicklung von Therapien, die auf die Darmflora abzielen. Und sie können helfen, die Diagnose des Reizdarms zu verbessern“, sagt Premysl Bercik von der McMaster University in Hamilton. Seine Arbeitsgruppe wollte herausfinden, ob Artenspektrum und Aktivität der Darmbakterien von Reizdarmpatienten eine Ursache der verschiedenen Krankheitssymptome sind. Dazu wählten die Forscher acht Patienten aus, die seit mindestens zwei Jahren unter Durchfall litten und von denen vier mäßig starke Anzeichen einer Angststörung zeigten. Als Kontrolle dienten fünf gesunde Personen ohne Darmprobleme und psychische Erkrankungen. Verdünnte Kotproben der gesunden und kranken Menschen wurden über eine Sonde in den Darm keimfrei aufgezogener Mäuse ohne eigene Darmflora übertragen.

Drei Wochen später hatten die Tiere, denen Kot der Patienten transplantiert worden war, mehrere Symptome eines Reizdarms entwickelt: Die Passage der Nahrung durch den Darm war beschleunigt, die Barrierefunktion der Darmwand war geschädigt und Entzündungsreaktionen hatten sich verstärkt. Stammte der übertragene Kot von Patienten mit Angststörungen, war auch bei den Mäusen ein stärker ausgeprägtes ängstliches Verhalten zu beobachten als bei den anderen Tieren. Die Forscher halten es für möglich, in Zukunft mit probiotischen Bakterien oder präbiotischen Nahrungsergänzungsmitteln sowohl die Darmstörungen als auch das psychische Befinden von Reizdarmpatienten zu behandeln.

Durch welche Mechanismen allerdings Darmbakterien die diversen Krankheitssymptome verursachen, ist noch nicht bekannt. Es gibt Hinweise darauf, dass die gestörte Darmflora Stoffwechselprodukte freisetzt, die Immunzellen aktivieren oder mit dem Blut ins Gehirn gelangen, wo sie die Funktion von Hirnzellen beeinflussen. Ob eine veränderte Darmflora die primäre Ursache des Reizdarmsyndroms ist, lässt sich noch nicht sagen, schreiben die Autoren. Es wäre auch denkbar, dass beispielsweise chronischer Stress die Darmfunktion schädigt und ein dadurch gestörtes Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Gruppen von Darmbakterien sekundär Krankheitssymptome verursacht. Zunehmend häufiger werden derzeit Kotübertragungen zur Therapie chronisch entzündlicher Darmerkrankungen und anderer Krankheiten eingesetzt. Aufgrund der neuen Ergebnisse, so die Forscher, sollte dabei sichergestellt sein, dass die Spender nicht unter psychischen Störungen leiden.

Das Reizdarmsyndrom, die weltweit häufigste Magen-Darm-Erkrankung, ist mit ständigen Bauchschmerzen sowie Durchfall oder Verstopfung verbunden. Bei 50 bis 90 Prozent der Patienten treten Angststörungen oder Depressionen auf. Die Ursache der Krankheit ist nicht bekannt. Neben einer veränderten Darmflora könnten verschiedene Faktoren wie Stress, Infektionen, antibiotische Therapien und Ernährungsumstellungen eine Rolle spielen.

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