Darmflora beeinflusst Entwicklung von Alzheimer

Darmbakterien von Alzheimer-Mäusen, die in den Darm keimfrei aufgezogener Mäuse übertragen werden, beschleunigen die Bildung von Ablagerungen im Gehirn
Alzheimer: Lücken im Gedächtnis – Löcher im Hirn
Alzheimer: Lücken im Gedächtnis – Löcher im Hirn
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Lausanne (Schweiz)/Lund (Schweden) - Die von Mensch zu Mensch unterschiedlich zusammengesetzte Darmflora beeinflusst weit mehr als nur die Verdauung und das Körpergewicht. So können Darmkeime aufgrund ihres engen Kontakts mit dem Immunsystem Entzündungsreaktionen im zentralen Nervensystem und anderen Teilen des Körpers sowohl verstärken als auch dämpfen. Jetzt haben Forscher aus der Schweiz, aus Schweden und Deutschland nachgewiesen, dass sich eine veränderte Darmflora bei genetisch vorbelasteten Mäusen auch auf die Entwicklung einer Alzheimer-Demenz auswirkt. Indem sie Darmkeime von älteren Alzheimer-Mäusen in den keimfreien Darm jüngerer Mäuse übertrugen, konnten die Wissenschaftler die Bildung der krankheitstypischen Ablagerungen im Gehirn beschleunigen. Wahrscheinlich gibt es Bakterienarten mit einem schützenden Effekt, während andere den Krankheitsverlauf begünstigen, schreibt das Forscherteam im Fachblatt „Scientific Reports“. Möglicherweise könnten in Zukunft probiotische Bakterien, eine spezielle Ernährung oder bestimmte Wirkstoffe das Artenspektrum der Darmkeime so verändern, dass das Demenzrisiko sinkt oder das Fortschreiten der Krankheit verlangsamt wird.

„Das Besondere an unserer Studie ist: Sie zeigt eine direkte kausale Verbindung zwischen Darmbakterien und Alzheimer-Krankheit“, sagt Frida Fåk von der Universität Lund, ein Mitglied der von Tristan Bolmont von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne geleiteten Arbeitsgruppe. Die Forscher arbeiteten mit Alzheimer-Mäusen, die gentechnisch so verändert waren, dass sich ab einem Alter von 1,5 Monaten im Gehirn der Eiweißstoff Beta-Amyloid ablagerte. Die Bildung solcher Plaques und die damit einhergehende Zerstörung von Hirnzellen sind ein typisches Merkmal der Alzheimer-Demenz. DNA-Analysen von Kotproben ergaben, dass sich das Artenspektrum der Darmflora dieser Tiere mit zunehmendem Alter und zunehmender Plaquebildung viel stärker veränderte als bei normalen Mäusen. Die Keimzahlen mehrerer Gattungen grampositiver Bakterien nahm stark ab, während der Anteil der Bacteroides-Arten und anderer gramnegativer Bakterien zunahm. Dabei ergab sich für acht Monate alte Mäuse ein enger Zusammenhang zwischen den Keimzahlen einiger Gattungen und dem Gehalt an Beta-Amyloiden im Gehirn.

Wurden die Alzheimer-Mäuse keimfrei aufgezogen, so dass keine Bakterien ihren Darm besiedeln konnten, entwickelten sich im Lauf ihres Lebens 57 bis 77 Prozent weniger Hirnplaques als bei normaler Aufzucht und ungehemmter Darmbesiedelung. Die Übertragung von Darminhalt solcher Mäuse in den Darm keimfrei aufgezogener Alzheimer-Mäuse führte zu vermehrten Ablagerungen im Gehirn. Offenbar erhöht ein verstärktes Wachstum bestimmter Darmkeime auf Kosten anderer Arten den Gehalt an Beta-Amyloiden und das Ausmaß ihrer Ablagerungen im Gehirn. Neben genetischen und anderen Einflussfaktoren könnte daher auch die Darmflora zur Entwicklung neurodegenerativer Krankheiten beitragen, folgern die Autoren. Hinweise dafür gibt es bereits für die Parkinson-Krankheit: Amerikanische Forscher hatten Kot von Patienten in den sterilen Darm von Mäusen übertragen und damit Krankheitssymptome ausgelöst. Für Multiple Sklerose und autistische Störungen ist ebenfalls ein enger Zusammenhang mit der Darmflora nachgewiesen.

Einer möglichen Erklärung zufolge aktivieren Stoffwechselprodukte einiger Bakterienarten Immunzellen dazu, Botenstoffe freizusetzen, die Entzündungsprozesse im Gehirn auslösen. Das könnte biochemische Reaktionen von Hirnzellen stören und so kognitive und andere Hirnfunktionen beeinträchtigen. Andere Spezies dagegen wie Arten der Gattung Akkermansia stärken wahrscheinlich die Barrierefunktion der Darmwand und verhindern, dass schädliche Produkte aus dem Darm über das Blut ins Gehirn gelangen. Weitere Untersuchungen sollen nun die schützenden und schädlichen Bakterienarten identifizieren. Diese Arbeiten könnten zu neuen Strategien der Vorsorge und Therapie von neurologischen und neurodegenerativen Erkrankungen führen, schreiben die Forscher.

Die Besiedlung des Darms beginnt während und nach der Geburt, wenn der Säugling Bakterien der Mutter über den Mund aufnimmt. In den ersten Lebensjahren entwickelt sich ein individuelles Artenspektrum von Bakterien, das meist ziemlich stabil bleibt. Durch Antibiotikatherapien oder Nahrungsumstellungen wie eine vegetarische Ernährung kann sich allerdings die Darmflora später auch noch verändern.

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