Chemotherapie: Rote Blutkörperchen transportieren Krebsmittel in die Lunge

Mit intravenös verabreichten Nanokapseln, die an Erythrozyten angeheftet sind, lassen sich im Tierversuch Wirkstoffe gezielt und effizient gegen Lungenmetastasen einsetzen
Mit Krebsmittel gefüllte Nanopartikel (blau) haften an roten Blutkörperchen einer Maus (rasterelektronenmikroskopische Aufnahme, koloriert).
Mit Krebsmittel gefüllte Nanopartikel (blau) haften an roten Blutkörperchen einer Maus (rasterelektronenmikroskopische Aufnahme, koloriert).
© Wyss Institute at Harvard University
Cambridge (USA) - Bei vielen Patienten mit Krebstumoren im fortgeschrittenen Stadium bilden sich Metastasen in der Lunge, die bisher nicht effektiv therapierbar sind. Amerikanische Forscher haben jetzt eine neue Form der Behandlung entwickelt, indem sie ein Krebsmittel in winzige Kapseln eingeschlossen und an rote Blutkörperchen angeheftet haben. Nach Injektion in Mäuse lösten sich in den engen Lungenkapillaren aufgrund von Scherkräften die Nanokapseln von den Blutzellen ab. Sie drangen in Krebszellen ein und setzten dort ihren Wirkstoff frei. Das bremste das Tumorwachstum im Vergleich zu einer normalen Chemotherapie oder zur Behandlung mit freien Wirkstoffkapseln und die Überlebenszeit verlängerte sich, berichten die Wissenschaftler im Fachblatt „Science Advances“. Der Einsatz von Nanokapseln und Erythrozyten als Transportmittel ermöglicht es, Krebsmedikamente bei geringeren Nebenwirkungen in hoher Dosis am Zielort im Lungengewebe freizusetzen. Die Substanz, aus der die Nanopartikel bestehen, hat sich bereits als gut verträglich für den Menschen erwiesen, was einen baldigen Beginn klinischer Studien erleichtert.

„Lungenmetastasen können aus ganz unterschiedlichen Primärtumoren wie zum Beispiel Brust- oder Blasenkrebs und Melanomen hervorgehen“, erklären die Forscher um Samir Mitragotri von der Harvard University in Cambridge. „Weil die Metastasen schneller wachsen, ist ihre Behandlung schwieriger als die der Primärtumoren.“ Die Wissenschaftler erzeugten etwa 135 Nanometer große kugelförmige Nanokapseln aus PLGA (Polylactid-co-Glycolsäure), einer biologisch abbaubaren Substanz, die auch als chirurgisches Nahtmaterial eingesetzt wird. Bei der Herstellung schlossen sie im Inneren der Partikel das Krebsmittel Doxorubicin ein. Die Kapseln lagerten sich spontan an Erythrozyten von Mäusen und Menschen an. Was die relativ stabile Verbindung bewirkt, ist noch nicht geklärt.

Als Versuchstiere dienten Mäuse mit Melanomen, die Metastasen in der Lunge gebildet hatten. Nach intravenöser Injektion wurden die Partikel erst beim Durchströmen der Lungenkapillaren von den Blutzellen abgestreift. Dadurch reicherten sich die Nanokapseln nach kurzer Zeit stark im Lungengewebe und damit in unmittelbarer Nähe zu den Tumoren an. Wie Versuche mit Zellkulturen zeigten, gelangen die Kapseln schnell in Krebszellen, werden dort abgebaut und geben dann das Krebsmittel frei. In Tierversuchen ließ sich so nach nur zwanzig Minuten eine im Vergleich zu freien Nanopartikeln 16-fach höhere Wirkstoffkonzentration in der Lunge erzielen.

Bei der Behandlung, die einen Tag oder eine Woche nach dem ersten Auftreten von Metastasen begann, erhielten die Tiere in sechs Tagen vier Injektionen der Nanopartikel. Die an rote Blutkörperchen gebundenen Kapseln bremsten das Wachstum der Metastasen 2,4-mal stärker als bei Einsatz freier Kapseln. Bei frühem Therapiebeginn verlängerte sich dabei die Überlebenszeit von drei auf 32 Tage. Der optimale Zeitplan für die einzelnen Injektionen sowie die wirksamste Dosierung sollen nun in weiteren Tierversuchen ermittelt werden, bevor Studien mit Patienten beginnen können. Neben Doxorubicin konnten die Forscher auch mehrere andere gängige Krebsmedikamente in ihre Nanokapseln einschließen und diese dann an Erythrozyten ankoppeln. Somit bestünde die Möglichkeit, die Behandlung an den Primärtumor eines Patienten anzupassen und das jeweils geeignetste Krebsmittel auszuwählen.

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