Blutdürstiges Gehirn steigerte die Intelligenz der frühen Menschen

Fossile Schädel liefern Angaben über die Größe der Arterien, die das Gehirn mit Blut versorgten, woraus sich Rückschlüsse auf die Aktivität der Hirnzellen ergeben
Abgüsse von Schädeln verschiedener Vor- und Frühmenschen ermöglichen die Berechnung der Blutflussrate des jeweiligen Gehirns.
Abgüsse von Schädeln verschiedener Vor- und Frühmenschen ermöglichen die Berechnung der Blutflussrate des jeweiligen Gehirns.
© Roger Seymour
Adelaide (Australien)/Johannesburg (Südafrika) - Die Denkleistung hängt nicht nur von der Größe des Gehirns ab, sondern auch von seiner Durchblutung. Dieser Zusammenhang habe bei der Entwicklung der menschlichen Intelligenz eine bisher unterschätzte Rolle gespielt, berichten jetzt australische und südafrikanische Anthropologen. Schädelfunde von Vor- und Frühmenschen lassen zum einen das Wachstum des Gehirns im Lauf der Evolution erkennen. Doch zum andern liefern dieselben Fossilien auch Hinweise auf die Blutversorgung des Denkapparats. Diese erfolgt überwiegend durch die beiden inneren Halsschlagadern, die durch zwei Löcher im Schädelknochen in den Schädel eindringen. Aus deren Durchmesser und dem Hirnvolumen lässt sich die Rate des Blutflusses, die Perfusion, des Gehirns berechnen. Für den Homo sapiens ergaben sich dafür sechsmal höhere Werte als für Australopithecus, während die Hirnmasse nur 3,5-mal größer war, schreiben die Forscher im Fachblatt „Royal Society Open Science“. Sie schließen daraus, dass die bessere Blutversorgung die Stoffwechselaktivität der Hirnzellen erhöht, deren Vernetzung verstärkt und so die Denkleistung gesteigert hat.

„Je höher die Stoffwechselaktivität des Gehirns ist, desto mehr Blut benötigt es, so dass die Arterien größer sein müssen“, sagt Roger Seymour von der University of Adelaide, der Leiter des Forscherteams. Zusammen mit Edward Snelling von der University of the Witwatersrand in Johannesburg untersuchte er 35 Originalfunde oder Abgüsse fossiler Schädel von elf Spezies der Homininen, darunter drei Arten von Australopithecus, Homo erectus, Neandertaler und archaische Formen des Homo sapiens. Die Funde umfassten eine Zeitspanne von drei Millionen Jahren menschlicher Evolution. Es zeigte sich, dass die Perfusionsrate des Gehirns in dieser Zeit viel stärker anstieg als die Hirngröße. Demnach verfügten die Neuronen des Homo sapiens über mehr Sauerstoff und Nährstoffe als die seiner Vorfahren und konnten sich wahrscheinlich effektiver über Synapsen mit anderen Hirnzellen vernetzen, vermuten die Forscher. Nicht die größere Zahl an Neuronen, sondern die verstärkte synaptische Aktivität ermöglichte eine gesteigerte Denkleistung.

Nach Angaben der Autoren entfallen beim Menschen 20 bis 25 Prozent der gesamten Stoffwechselrate auf das Gehirn, bei nicht menschlichen Primaten sind es 8 bis 10 Prozent und bei den meisten anderen Säugetieren nur 3 bis 5 Prozent. Mehr als die Hälfte seines Energiebedarfs benötige das Gehirn für die Signalübertragungen über die Synapsen. Eine verstärkte Blutzufuhr dürfte daher die Zahl der Synapsen pro Neuron erhöht und die Informationsverarbeitung beschleunigt haben. Zusammen mit diesem Evolutionsprozess verlängerte sich bei Homo sapiens die Phase der kindlichen Entwicklung – eine Zeit, in der sich die körperliche Reifung verzögert, während sich das Gehirn weiterentwickelt. Die Neandertaler hatten zwar ein ähnlich großes Gehirn wie Homo sapiens, aber geringere Blutflussraten und eine kürzere Kindheit.

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