Bio-inspirierte Faser: Dehnen ändert Farbe

Nach dem Vorbild einer irisierenden Beere erzeugt die Nanostruktur der Oberfläche Farben des gesamten Regenbogenspektrums
Die Bastard-Schweinsbeere (Margaritaria nobilis) schimmert in blau-grün – bei Feuchtigkeit mehr grün, etwa wenn sie wie hier im Wasser liegt.
Die Bastard-Schweinsbeere (Margaritaria nobilis) schimmert in blau-grün – bei Feuchtigkeit mehr grün, etwa wenn sie wie hier im Wasser liegt.
© Peter Vukusic
Cambridge (USA)/Exeter (Großbritannien) - Eine grün-blau schillernde Beere aus den Regenwäldern Südamerikas lieferte die Vorlage für bunt leuchtende Fasern, die beim Dehnen ihre Farbe deutlich verändern. Das Geheimnis der wechselnden Tönung liegt in der Oberfläche der Kunststofffasern. Ein internationales Team von Entwicklern hatte die mehrschichtige Oberfläche der Beere analysiert, deren Hülle das Licht reflektiert und umlenkt, um im dunklen Wald besser gesehen zu werden. Im Labor erzeugten die Forscher ähnliche Oberflächeneigenschaften, indem sie hauchdünne flexible Kunststoffschichten mehrfach umeinander wickelten. Werden diese gerollten Fasern gedehnt, verändern sich die Reflexionseigenschaften, schreibt das Team im Fachblatt „Advanced Materials“. Die Färbung lässt sich demnach bei der Produktion gezielt einstellen und dürfte auch bei industrieller Herstellung günstig bleiben. Vielfältige Einsatzfelder sind denkbar, von Sportkleidung, die eine Muskeldehnung sichtbar machen, bis zu Sensoren an technischen Bauteilen, die vor unerwünschter Verformung warnen.

„Die Pflanze kann natürlich nicht die Farbe verändern. Doch durch das Kombinieren ihrer Struktur mit einem elastischen Material haben wir eine künstliche Version geschaffen, die beim Dehnen einen ganzen Regenbogen an Farben durchläuft“, berichtet Mathias Kolle, Hauptautor der Studie von der Harvard School of Engineering and Applied Sciences (SEAS). Gemeinsam mit Kollegen der University of Exeter, der Maximilians-Universität München und der University of Cambridge hatte Kolles Team zunächst die Beere der südamerikanischen „Margaritaria nobilis“ näher untersucht. Bei den Einheimischen auch Bastard-Schweinsbeere genannt, ist sie offenbar relativ wenig schmackhaft. Doch mit ihrem Schillern lockt sie Vögel an, die ihren Samen per Verdauung auf großer Fläche verteilen. Während andere leuchtende Flächen aus der Flora und Fauna – etwa Schmetterlingsflügel – ihre auffällige Färbung meist mit nur einer einzelnen, fein strukturierten Oberfläche erreichen, setzt die irisierende Beere auf mehrere Schichten übereinander.

Zwei unterschiedliche Eigenschaften sorgen dabei gemeinsam für ein Rundum-Schillern auch bei direktem, nicht diffusem Licht: in den Worten der Forscher eine hierarchische photonische Struktur. Die gekrümmte Außenhaut der Beeren enthält lang gestreckte, übereinander geschichtete Zellen, die in unterschiedliche Richtungen angeordnet sind. Das sorgt dafür, dass reflektiertes Licht aus allen Richtungen in alle Richtungen geworfen wird. Bei genauerem Hinsehen entpuppte sich dann das Innere der Zellen als eine Art Krautwickel: dünne, um die Mittelachse aufgerollte Schichten mit je nur rund 180 Nanometern Dicke. Diese periodische Anordnung innerhalb der Zellen erzeugt bei einfallenden Lichtwellen eine Interferenz, die für das leuchtende Blau sorgt.

„Für unsere künstliche Struktur haben wir die Komplexität der Frucht auf ihre wichtigsten Teile reduziert“, erklärt Kolle. Anders als flexible Fasern, die aus einem flüssigen Kunststoff herausgezogen werden und erstarren, nutzte sein Team eine Rolltechnik, die die Herstellung bei Raumtemperatur und ein breites Spektrum an organischen und anorganischen Materialien erlaubt. Die Forscher legten zwei hauchdünne Schichten aus Elastomeren mit unterschiedlichem Brechungsindex übereinander, abgekürzt PDMS und PSPI, die sehr günstig in industriellen Mengen zu haben sind. Dann diente eine nur rund 15 Mikrometer dünne Glasfaser als Kern, um den sie diese Doppelschicht eng herumwickelten – zuvor waren mit dieser Technik nur wesentlich dickere Rollen erzeugt worden. Die fertige Rollfaser wurde flexibel, nachdem ihr Glaskern entweder durch Ziehen oder durch Auflösen mit Flusssäure entfernt worden war.

„Unsere Rolltechnik erlaubt uns den Einsatz einer breiten Palette an Materialien, besonders elastischen“, ergänzt Ko-Autorin Joanna Aizenberg vom SEAS. Die optischen Eigenschaften, also vor allem die Farbe der Faser lässt sich dann an mehreren Stellen steuern: über den Unterschied der beiden Brechungsindizes, die Zahl der Schichten, den Durchmesser und schließlich die Dehnung. Denn je länger das flexible Material der Faser gezogen wird, desto dünner werden die dicht aneinander liegenden Schichten. Eine Verdoppelung der Länge etwa führte zu einer Verschiebung der hauptsächlich reflektierten Wellenlänge um mehr als 200 Nanometer – also beispielsweise von blau zu rot. Weil sich die geschmeidigen Fasern auch komplizierten Formen anpassen können und nur bei Belastung ihre Farbe wechseln, eignen sie sich laut ihren Entwicklern für „intelligente“ Textilien ebenso wie für technische Anwendungen.

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