Am Beginn der Menschwerdung stand mehr soziale Intelligenz

„Wir postulieren, dass Veränderungen im Striatum am Beginn der Entwicklung zum Menschen zu einer neuralen Reorganisation führten und nachfolgend das Wachstum der Großhirnrinde erleichterten“, schreiben die Forscher um Owen Lovejoy von der Kent State University. Schon Darwin hatte Probleme zu erklären, wie sich typisch menschliche Merkmale wie Empathie und Altruismus durch natürliche Selektion entwickelt haben könnten. Eine mögliche Antwort darauf fanden nun Lovejoy und seine Kollegen, indem sie den Gehalt an Neurotransmittern im Striatum verschiedener Primaten analysierten, die teils eng, teils nur entfernt mit dem Menschen verwandt sind.
Im Vergleich zu Pavianen, Makaken und Kapuzineraffen waren bei Menschen, Schimpansen und Gorillas die Serotonin- und Neuropeptid-Y-Spiegel erhöht. Für den Menschen ergaben sich höhere Dopamin- und niedrigere Acetylcholinwerte als für die Menschenaffen. Diese Profile von Neurotransmittern sprechen für eine im Lauf der Evolution verstärkte Reaktion auf soziale Signale und einen engeren Zusammenhalt in der Gruppe bei abnehmender Aggressivität und zunehmender Empathie. „Wir vermuten, dass bei unseren frühesten Vorfahren ein Selektionsprozess zugunsten eines ‚dopamindominierten Striatums‘ einsetzte, der bis zum modernen Menschen anhielt“, schreiben die Forscher. Die wachsende Bedeutung sozialer Bindungen könnte auch zur sozialen Monogamie geführt haben, was die biologische Fitness beider Geschlechter verbessert hätte. Hinzu kommen verstärkte elterliche Fürsorge und schnellere Geburtenfolge, wodurch die Vermehrungsraten bereits bei vormenschlichen Populationen in ungewöhnlichem Ausmaß angestiegen sind.
Nach bisheriger Ansicht verliefen die Veränderungen im Sozialverhalten bei der Menschwerdung parallel zum Wachstum des Großhirns und der damit verbundenen Zunahme intellektueller Fähigkeiten. Die Forscher halten es jedoch für viel wahrscheinlicher, dass sich zunächst ein dopamindominiertes Striatum entwickelt hat. Sie hoffen, durch einen Vergleich des Neurotransmitterprofils der beiden eng verwandten Menschenaffen Schimpanse und Bonobo ihre Befunde und Hypothesen untermauern zu können. Schimpansen sind deutlich aggressiver und teilen ihre Nahrung nur selten. Bonobos verhalten sich toleranter gegen ihre Gruppenmitglieder, sind kooperativer und geben häufig Nahrung an andere ab. Der neuen Theorie zufolge müssten sich diese starken Unterschiede beim Sozialverhalten im Dopamin- und Acetylcholingehalt des Striatums widerspiegeln.