Wo im Gehirn sitzt die Persönlichkeit?
„Wenn wir die Bandbreite der individuellen Variabilität des menschlichen Gehirns begreifen, können wir in Zukunft womöglich auch jene Hirnregionen bestimmen, die abnormale Schaltkreise aufbauen könnten“, sagt Hesheng Liu vom Massachusetts General Hospital. Bei zahlreichen neuropsychiatrischen Störungen sind ungewöhnliche neuronale Schaltkreise zu beobachten. Dagegen könnten bald, basierend auf den Erkenntnissen von Lius Team, neue Behandlungsmethoden entwickelt werden, so die Hoffnung der Forscher.
Für ihre Studie hatten Liu und seine Kollegen eine Gruppe von 23 gesunden Personen fünf Mal pro Tag über einen Zeitraum von sechs Monaten untersucht. Die interindividuellen Unterschiede der Vernetzung von Hirnregionen machten die Forscher mit einer Technik sichtbar, bei der die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) die im Hirn ablaufenden Prozesse im Ruhezustand abbildet. Mithilfe dieser Methode kann die Aktivität des Gehirns auch dann bestimmt werden, wenn es gerade keine von außen initiierte Aufgabe bearbeitet. Weil die verschiedenen Hirnareale auch in diesem Zustand interagieren, ändert sich die Durchblutung stetig. Über die Schwankungen des Sauerstoffgehalts im Blut ist es folglich möglich, die Vernetzung des Gehirns sichtbar machen. Wie sich herausstellte, waren die Aktivitätsmuster bei allen Versuchspersonen unterschiedlich, und zwar insbesondere in den für Kontrolle und Aufmerksamkeit fundamental wichtigen Arealen.
Auffällige Unterschiede ließen sich zudem in jenen Bereichen des Gehirns beobachten, die sich im Laufe der Evolution stark vergrößert haben. Dazu gehören der Assoziationskortex inklusive des lateralen präfrontalen Hirnlappens sowie die Verbindungsstelle zwischen dem Temporal- und Schläfenlappen der Großhirnrinde. Diese Hirnregionen haben sich entwicklungsgeschichtlich betrachtet besonders spät herausgebildet und sind essentiell für komplexe kognitive Funktionen wie das logische Denken und die Sprache. Nach Meinung der Forscher könnten daraus neue Hinweise für die Entwicklungsweg des Gehirns im Laufe der Evolution gewonnen werden: „Diese Studie weist auch auf eine Verbindung zwischen der Unterschiedlichkeit menschlicher Fähigkeiten und der entwicklungsgeschichtlichen Ausweitung bestimmter Hirnsektionen hin“, so Liu.