Von der Wildform zum Haustier: Effizientere Nutztiere entstanden nur als Nebeneffekt

Die Züchtung auf Zahmheit reichte möglicherweise aus, um durch ständige Auslese Nutztiere mit anderen erwünschten Eigenschaften wie erhöhte Fleischmasse oder schnellere Fortpflanzung zu erzeugen
Das Bankivahuhn (Gallus gallus) ist die Stammform aller Haushühner.
Das Bankivahuhn (Gallus gallus) ist die Stammform aller Haushühner.
© Linköping University
Linköping (Schweden) - Die Züchtung verschiedener Haustiere spielte für die Entwicklung der menschlichen Zivilisation eine wichtige Rolle. Im Verlauf der sogenannten Domestizierung haben sich mehrere Merkmale der jeweiligen Wildformen zum Vorteil für die Menschen verändert. Notwendiges Zuchtziel am Beginn dieses Prozesses war eine größere Zahmheit: Die Tiere verloren ihre natürliche Scheu gegenüber dem Menschen. Jetzt konnten schwedische Biologen am Beispiel der Urform des Haushuhns zeigen, dass allein die gezielte Auslese im Hinblick auf größere Zahmheit dazu geführt haben könnte, dass sich gleichzeitig auch andere erwünschte Eigenschaften entwickelt haben. In ihren Experimenten hatte sich bereits nach wenigen Generationen die generelle Schreckhaftigkeit des Wildhuhns verringert, die Stoffwechselrate gesteigert und die Effizienz der Nahrungsverwertung sowie die Größe der Eier erhöht, berichten die Forscher im Fachblatt „Biology Letters”.

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass sich typische Merkmale von Haustieren als sekundäre Effekte bei zunehmender Zahmheit entwickelt haben könnten“, erklären die Biologen um Per Jensen von der Linköping University. Demnach seien die Wildformen der unterschiedlichen Haustiere nicht unbedingt wegen einer besonders guten Eignung als Nahrungslieferant ausgewählt worden, sondern hauptsächlich weil sie leichter zu handhaben waren. Zu den für den Menschen nützlichen Merkmalen vieler Haustiere zählen ein größeres Körpergewicht und eine erhöhte Vermehrungsrate. Doch als Grundvoraussetzung für eine erfolgversprechende Domestizierung mussten die Tiere ihre angeborene Angst vor dem Menschen verlieren. Die Forscher bestätigten nun eine Hypothese, nach der mit zunehmender Zahmheit auf noch unbekannte Weise noch andere nützliche Haustiereigenschaften entstanden sind.

Haushühner gibt es seit etwa 8000 Jahren. Sie stammen vom Bankivahuhn (Gallus gallus) ab, das noch heute als Wildhuhnart in Südostasien lebt. Ausgehend von dieser Urform aller heutigen Rassen von Haushühnern, hat das Forscherteam von Jensen durch zwei getrennte Ausleseprozesse über jeweils sechs Generationen hinweg Tiere erzeugt, die entweder eine verringerte oder eine verstärkte Angst vor Menschen zeigten. Für die Gruppe der zahmeren Hühner ermittelten die Wissenschaftler eine deutlich höhere Stoffwechselrate, gemessen als Sauerstoffverbrauch pro Kilogramm Körpergewicht, als bei der anderen Gruppe. Außerdem verwerteten diese Tiere ihre Nahrung besser, so dass ihr Körpergewicht im Alter von 200 Tagen durchschnittlich 200 Gramm größer war. Die Hühner, die weniger Angst vor Menschen hatten, reagierten auch auf fremde Gegenstände weniger schreckhaft. Bluttests ergaben bei den Männchen einen erhöhten Spiegel des Botenstoffs Serotonin – ein Anzeichen generell geringerer Ängstlichkeit bei Vögeln.

Ein Anstieg des Serotoninspiegels im Zuge der Domestizierung könnte erklären, durch welchen Mechanismus sich mit zunehmender Zahmheit auch mehrere andere Eigenschaften der Hühner verändert haben, sagt Jensen. So sei bekannt, dass Serotonin auch die Funktion des Verdauungskanals beeinflusst. Durch die Selektion, die aus dem Wildtier ein Haustier machte, könnten solche genetischen Merkmale bevorzugt verbreitet worden sein, die sowohl zu Veränderungen im Verhalten, im Körperbau als auch im Stoffwechsel geführt haben. Es gebe aber auch einzelne Eigenschaften von Haustieren wie beispielsweise Farbvarianten, die nachträglich durch gezielte Züchtung erzeugt wurden, schreiben die Autoren. Sie vermuten, dass ihre mit den Hühnern erzielten Ergebnisse auch auf andere Haustiere wie Schweine, Schafe und Rinder übertragbar sind.

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