Süßstoff lässt Blutzuckerspiegel steigen
„Die Beziehung zwischen unserem Körper und der ganz individuellen Mixtur aus Darmbakterien spielt eine wichtige Rolle dabei, wie die Ernährung uns beeinflusst“, sagt Eran Elinav vom Weizmann Institute of Science in Rehovot, der zusammen mit Eran Segal das Forscherteam leitete. Es ist bekannt, dass ein Ungleichgewicht zwischen den Populationen der Darmbakterien das Risiko für Stoffwechselkrankheiten wie Fettleibigkeit und Diabetes vom Typ 2 erhöht. Aber völlig überraschend war nun der Befund, dass kalorienfreie oder kalorienarme Süßstoffe das Artenspektrum der Darmflora verändern können. Solche Stoffe sind häufig in Diätlimonaden, Müsli oder zuckerfreien Süßigkeiten enthalten. Sie können vom Menschen im Darm nicht abgebaut und verwertet werden. Doch auf noch unbekannte Weise reagieren einige Darmbakterien darauf – möglicherweise indem sie Wirkstoffe freisetzen, die einen schädlichen Einfluss auf die normale Regulation des Blutzuckerspiegels haben, sagt Elinav.
Die Forscher versetzten das Trinkwasser von Mäusen mit Saccharin, Sucralose oder Aspartam. Bezogen auf das Körpergewicht, lag die eingesetzte Dosis im Bereich der für Menschen zugelassenen Mengen. Als Kontrolle dienten Mäuse, die reines Wasser, glukose- oder rohrzuckerhaltiges Wasser erhielten. Im Gegensatz zu sämtlichen Kontrollgruppen stieg der Blutzuckerspiegel bei den übrigen Mäusen im Lauf von elf Wochen deutlich an. Den stärksten Effekt hatte Saccharin, das bereits ab der fünften Woche den normalen Zuckerstoffwechsel im Körper schädigte. Um zu prüfen, ob die Darmkeime der Mäuse dabei eine Rolle spielen, töteten die Wissenschaftler den größten Teil der Mikroben durch Antibiotika ab und wiederholten das Experiment. Jetzt hatten die Süßstoffe keinen Einfluss mehr auf den Blutzuckerspiegel.
Den endgültigen Beweis dafür, dass die Bakterien für die Süßstoffwirkung verantwortlich waren, lieferte ein weiterer Versuch: Dabei übertrugen die Forscher den Darminhalt von Mäusen, denen eine Zeit lang Süßstoff verabreicht worden war, in den Darm keimfreier Mäuse. Auch diese Tiere entwickelten eine gestörte Regulation des Zuckerstoffwechsels, obwohl sie selbst nie Süßstoffe aufgenommen hatten. Ein Vergleich des Artenspektrums an Darmbakterien ergab, dass die tägliche Zufuhr von Süßstoff das Zahlenverhältnis von Bacteroides- und Clostridiumarten auf ähnliche Weise veränderte, wie es bei Patienten mit Typ-2-Diabetes bekannt ist.
Schließlich prüften die Wissenschaftler, ob ihre Ergebnisse auch auf den Menschen übertragbar sind. Sieben Testpersonen, die normalerweise keine Süßstoffe konsumierten, nahmen eine Woche lang künstlich stark gesüßte Getränke und Speisen zu sich. Schon nach vier Tagen stieg bei einigen der Blutzuckerspiegel an und die Darmflora veränderte sich. Je nach individueller Zusammensetzung der Darmflora könnten verschiedene Menschen unterschiedlich anfällig für die schädliche Wirkung von Süßstoffen sein, vermuten die Autoren.
Noch kennt man den genauen Mechanismus nicht, durch den Darmkeime unter dem Einfluss von Süßstoffen die Regulation des Blutzuckerspiegels stören. Die Forscher halten es für möglich, dass der seit mehreren Jahren weltweit zunehmende Konsum an künstlichen Süßstoffen zur epidemieartigen Verbreitung von Diabetes und Fettleibigkeit beigetragen haben könnte. Der jetzt aufgedeckte Zusammenhang könnte helfen, dieser Gesundheitsbedrohung entgegenzuwirken.