Klima-Kipppunkt der Wälder

Ökosysteme an Land dienen nur bis zu einer bestimmten Temperatur als effizienter CO2-Speicher
Klima-Kipppunkt der Wälder: Mit steigenden Temperaturen könnten Grünpflanzen immer weniger CO2 speichern und sich sogar zu einer neuen Quelle für das Treibhausgas wandeln.
Klima-Kipppunkt der Wälder: Mit steigenden Temperaturen könnten Grünpflanzen immer weniger CO2 speichern und sich sogar zu einer neuen Quelle für das Treibhausgas wandeln.
© Victor O. Leshyk/Northern Arizona University
Flagstaff (USA) - Etwa 30 Prozent der Kohlendioxid-Emissionen werden heute von Pflanzen vor allem in den weiten Wäldern der Tropen, Kanadas und Sibiriens aufgenommen und in Biomasse gespeichert. Diese CO2-Senke wirkt sich bremsend auf den Klimawandel aus. Doch dieser positive Effekt leidet unter den steigenden Temperaturen. Bis zur Mitte des Jahrhunderts könnte sich die CO2-Speicherung in den Pflanzen fast halbieren, warnen nun amerikanische und neuseeländische Wissenschaftler. In der Fachzeitschrift „Science Advances“ präsentieren sie ihre Analyse zum CO2-Haushalt von Ökosystemen an Land auf der Basis von Messdaten über den Zeitraum von 1991 bis 2015.

Die Grundlage dieser Abschätzung liegt in dem ausgeklügelten Stoffwechsel der Grünpflanzen. Tagsüber nehmen sie über die lichtgetriebene Photosynthese CO2 auf und speichern es als Biomasse. Nachts jedoch setzt die Dunkelatmung ein, um Energie zu erzeugen. Dabei verbrauchen die Pflanzen Kohlenhydrate und Sauerstoff und setzen Kohlendioxid frei. Bisher überwiegt die Aufnahme von CO2 tagsüber. Mit steigenden Temperaturen nehmen zuerst sowohl Photosynthese als auch Pflanzenatmung zu. Wird jedoch die für die Photosynthese optimale Temperatur überschritten, sinkt deren Effizienz. Dagegen nimmt die Dunkelatmung immer weiter zu. So sinkt sukzessive die CO2-Aufnahme bis im Extremfall Pflanzen sogar mehr CO2 abgeben als aufnehmen könnten.

Genau diesen Wandel nahmen Katharyn Duffy vom Center for Ecosystem Science and Society in Flagstaff und ihre Kollegen genauer unter die Lupe. Sie nutzten Daten des Messnetzes FLUXNET – einem globalen Netzwerk von Messtürmen, die den Austausch von Kohlendioxid, Wasserdampf und Energie zwischen Biosphäre und Atmosphäre messen. Über den Zeitraum von 1991 bis 2015 ermittelten sie für jeden Turmstandort die Änderungen der Photosynthese und der Pflanzenatmung abhängig von den Temperaturänderungen. Ausgehend von den aktuellen CO2-Emissionen und der dadurch wahrscheinlichen Erwärmung extrapolierten sie den CO2-Haushalt der Pflanzen bis zum Ende des Jahrhunderts. So könnten heute großen CO2-Senken – etwa Regen- und Taigawälder – bereits bis Mitte des Jahrhunderts mehr als 45 Prozent ihrer Fähigkeit zur Kohlenstoffspeicherung verlieren. Und Ende des Jahrhunderts würden bis zur Hälfte der Landökosysteme einen Kipppunkt – auch Tipping Point genannt – erreichen, ab dem die Pflanzen CO2 schneller in die Atmosphäre abgeben als speichern.

„Tropische Regenwälder, die den Löwenanteil an Kohlenstoff speichern, sind dann die ersten Ökosysteme, die ihren Temperatur-Kipppunkt erreichen“, sagt Duffy. Das sei alarmierend, weil sie so mehr Kohlenstoff in die Atmosphäre abgeben und wiederum zu einer zusätzlichen Erwärmung führen könnten. „Diese neue Studie, die weitgehend einen empirischen Ansatz verwendet, bei dem Messungen von Kohlenstoff-Flüssen aus einem globalen Netzwerk und Klimadaten verwendet werden, legt nahe, dass wir diesem Tipping Point viel näher sind: 20 bis 30 Jahre gegenüber 40 bis 70 Jahren basierend auf Erdsystemmodellen – mit wichtigen Auswirkungen auf die Prognosen zum Klimawandel“, beurteilt Wolfgang Buermann, Klimaforscher der Universität Augsburg diese Studie.

Allerdings ist das neue Kipppunkt-Szenario durchaus umstritten. So zeigte vor vier Jahren eine Studie von Peter B. Reich und Kollegen von der University of Minnesota, dass sich Pflanzen durchaus an höhere Temperaturen anpassen können und dabei weniger CO2 ausatmen als bisher angenommen. Auch sieht Markus Reichstein vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena in der aktuellen Studie viele Möglichkeiten für Extrapolationsfehler. Denn Duffy und Kollegen hätten außer Temperatur und Verfügbarkeit von Wasser keine weiteren Faktoren, wie etwa den Düngeeffekt von CO2 berücksichtigt. „Insofern wäre ich den Schlussfolgerungen gegenüber skeptisch, zumindest würde ich sie so nicht aus den Daten ablesen wollen“, sagt Reichstein. Weitere Studien und Analysen werden folglich nötig sein, um das Kipppunkt-Risiko für die großen Wälder der Erde sicherer abschätzen zu können.

© Wissenschaft aktuell


 

Home | Über uns | Kontakt | AGB | Impressum | Datenschutzerklärung
© Wissenschaft aktuell & Scientec Internet Applications + Media GmbH, Hamburg