Kernreaktor Atmosphäre – Blitze erzeugen radioaktive Isotope

Japanische Forscher klären nukleare Prozesse in der Atmosphäre während eines Gewitters
Kernreaktor Atmosphäre: Während eines Gewitters triggern Blitze photonuklerare Kernreaktionen und lassen radioaktive Isotope entstehen.
Kernreaktor Atmosphäre: Während eines Gewitters triggern Blitze photonuklerare Kernreaktionen und lassen radioaktive Isotope entstehen.
© T. Enoto et al.
Kyoto (Japan) - Über die kosmische Strahlung gelangen ununterbrochen Teilchen mit viel Energie zur Erde. Doch auch Blitze treiben eine Art Kernreaktor in der Atmosphäre an und führen zur Bildung radioaktiver Isotope, freier Neutronen und intensiver Gammastrahlung. Eine Gruppe japanischer Physiker gelang es nun, die grundlegenden Prozesse im Kernreaktor Atmosphäre während eines Wintergewitters zu entschlüsseln. Wie sie in der Fachzeitschrift „Nature“ berichten, könnten ihre Ergebnisse auch Auswirkungen für die Datierung von archäologischen Fundstücken mit der Kohlenstoff-14-Methode (C-14) haben.

„Wir haben neue, handliche Strahlungsdetektoren entwickelt“, sagt Teruaki Enoto von der Universität Kyoto. „Damit konnten wir nachweisen, dass Blitze radioaktive Isotope und Positronen – die Antiteilchen der Elektronen – erzeugen.“ Zusammen mit seinen Kollegen von der Universität Tokyo klärte Enoto damit ein Phänomen, dessen Existenz schon vor knapp 100 Jahren vom schottischen Meterologen Charles Wilson vermutet wurde. Bei Gewittern konnten andere Forschergruppen bereits Neutronen, Gammastrahlung und energierreiche Elektronen nachweisen, doch fehlte bisher eine eindeutige Erklärung zum Ursprung dieser Teilchen.

Enoto und seine Kollegen untersuchten während eines Wintersturms am 6. Februar dieses Jahres die Gammastrahlung aus tiefen Gewitterwolken. Mit vier so genannten Szintillator-Detektoren zeichneten sie diese energiereiche Strahlung an der Küste der japanischen See im Rahmen des Projekts Gamma-Ray Observation of Winter Thunderclouds (GROWTH) auf. Eindeutig konnten sie nach einem Blitz zuerst ein intensives Signal aus energiereicher Gammastrahlung aufspüren. Dieses dauerte kürzer als eine Millisekunde; es handelte sich um Bremsstrahlung einer vom Blitz erzeugten Elektronen-Kaskade. Kurz darauf zeichneten die Detektoren Gammastrahlung mit einer Energie von 511 Kiloelektronenvolt auf, die für etwa eine Minute anhielt. Just dieser Energiewert verriet den Forschern, was genau in der Atmosphäre passiert war.

Die Messungen ließen sich eindeutig mit dem Blitzereignis in Zusammenhang bringen. Über die zeitliche Abfolge und Intensität der Gammastrahlungssignale konnten die Forscher auf einen photonuklearen Prozess in der unteren Atmosphäre schließen. Dabei trafen nach dem Blitz Photonen mit hohen Energien von mehr als zehntausend Kiloelektronenvolt auf das stabile Isotop Stickstoff-14 und schlugen je ein Neutron aus dem Atomkern heraus. Das entstandene, radioaktive Isotop Stickstoff-13 zerfiel binnen weniger Minuten in das Isotop Kohlenstoff-13, einem Neutrino und einem Positron. Dieses Positron vereinigte sich darauf mit einem Elektron in der Atmosphäre. Bei dieser Verschmelzung von Materie und Antimaterie – Annihilation genannt – entstanden zwei Lichtteilchen mit der charakteristischen Energie von 511 Kiloelektronenvolt.

Ein analoger photonuklearer Prozess ist ebenfalls mit dem Zerfall von Sauerstoff-16-Kernen möglich. Weitere Experimente sind geplant, um die Produktion anderer Isotope zu untersuchen. So können Blitze in der Atmosphäre auch das Isotop Kohlenstoff-14 in nicht vernachlässigbarer Menge erzeugen. Das könnte durchaus Auswirkungen auf die Datierung archäologischer Proben mit der C-14-Methode haben und die Genauigkeit dieser Altersbestimmung beeinflussen. Die früher vorgeschlagene Theorie, dass ein von Blitzen verursachter Fusionsprozess Wasserstoffkerne in einem heißen Plasma zu Heliumkernen verschmelzen lässt, lässt sich nun jedenfalls ausschließen.

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