Autistische Zellkultur

Autismusforschung: Aus Hautzellen von Patienten gezüchtetes Hirngewebe gibt Aufschluss über Ursachen der Krankheit
Menschliches Gehirn-Organoid mit unterschiedlichen Zelltypen: unreife, teilungsfähige Zellen (rot), reife Neuronen (grün)
Menschliches Gehirn-Organoid mit unterschiedlichen Zelltypen: unreife, teilungsfähige Zellen (rot), reife Neuronen (grün)
© Jessica Mariani
New Haven (USA) - Autistische Störungen sind genetisch bedingt und beruhen auf einer fehlerhaften Gehirnentwicklung des Embryos. Jetzt haben amerikanische Forscher aus Hautzellen von Patienten Stammzellen erzeugt und daraus wenige Millimeter große dreidimensionale Gewebe aus Hirnzellen angezüchtet. Ein Vergleich dieser Gehirn-Organoide mit ebenso hergestellten Geweben gesunder Menschen lieferte bisher unbekannte Hinweise auf die Krankheitsursachen. So entwickelten sich aus den Patientenzellen Organoide mit einem Überschuss an Neuronen, die einen Botenstoff produzieren, der benachbarte Neuronen hemmt. Diese Fehlentwicklung ließ sich auf die übermäßige Aktivität eines einzelnen Gens zurückführen, berichten die Wissenschaftler im Fachblatt „Cell“. Durch Blockade des Gens konnten sie das gestörte Gleichgewicht zwischen hemmenden und anregenden Neuronen wiederherstellen. Daraus ergeben sich neue Möglichkeiten für Diagnose und Therapie.

„Anstatt mit der Suche nach Krankheitsgenen zu beginnen, gingen wir zunächst von der Biologie der Störung aus, um dadurch Hinweise auf die Gene zu erhalten“, sagt Flora Vaccarino von der Yale University in New Haven. Bei Autisten sind Wahrnehmung und Informationsverarbeitung gestört, was Kommunikation und Verhalten beeinträchtigt. In mehr als 80 Prozent der Fälle ist nicht bekannt, welche genetischen Veränderungen die normale Entwicklung des Gehirns verhindern. Vaccarino und ihre Kollegen simulierten den Verlauf der krankhaften Hirnentwicklung im Labor, um die Ursachen zu erkennen. Dazu wählten sie aus vier Familien besonders stark betroffene Autismus-Patienten aus, deren Hirnvolumen krankheitsbedingt vergrößert war. Als Kontrollen dienten deren gesunde Väter.

Zunächst erzeugten die Forscher aus Hautzellen aller Probanden sogenannte induzierte pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen). Mit einer speziellen Technik ließen sich daraus Vorläufer von Hirnzellen anzüchten, aus denen sich nach vier bis fünf Wochen schließlich strukturierte dreidimensionale Zellverbände entwickelt hatten. Dieser Prozess verlief ganz ähnlich wie die Entwicklung des Gehirns menschlicher Embryonen in den ersten Wochen. Die iPS-Zellen der Patienten vermehrten sich anfangs schneller als die der Kontrollpersonen, was das beschleunigte Hirnwachstum bei den Autisten erklären würde.

Die Gehirn-Organoide der Patienten enthielten einen im Vergleich zu denen ihrer Väter erhöhten Anteil an Neuronen, die den Botenstoff GABA (Gamma-Aminobuttersäure) produzieren. Durch diesen Neurotransmitter hemmen die Zellen die Aktivität der mit ihnen verbundenen Hirnzellen. Die Zahl der Neuronen mit aktivierenden Botenstoffen blieb dagegen unverändert. Verantwortlich für dieses Ungleichgewicht war die übermäßige Aktivität des Gens FOXG1. Wurde das Gen während der Entwicklung des Hirngewebes blockiert, normalisierte sich der Anteil an GABA-Neuronen. Dieser Befund könnte helfen, Methoden der genetischen Frühdiagnose und neue Therapieansätze zu entwickeln. Durch welche Genveränderungen sich die FOXG1-Aktivität erhöht, ist noch nicht geklärt. Die Erzeugung von Organoiden anderer Gewebe aus iPS-Zellen könnte geeignet sein, auch die Ursachen anderer Krankheiten zu erforschen, die auf gestörten Entwicklungsprozessen beruhen.

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