Ameisen bergen Verletzte nach der Schlacht

„Erstmals haben wir bei wirbellosen Tieren ein Verhalten beobachtet, durch das Verletzte gerettet werden“, sagt Erik Frank vom Biozentrum der Universität Würzburg. Er und seine Kollegen beobachteten Megaponera analis-Ameisen in einer Savannenlandschaft der Elfenbeinküste. Diese Insekten sind darauf spezialisiert, bestimmte Termitenarten zu überfallen und als Nahrung zu nutzen. Zwei- bis viermal am Tag setzen sich 200 bis 500 Ameisen einer Kolonie in Richtung eines zuvor ausgekundschafteten Ortes in Bewegung. Ist die Kolonne am Zielort angekommen, machen die größeren Ameisen die Zugänge zum Termitenbau frei, so dass die kleineren eindringen können. Die getöteten Termiten werden dann als Beute ins Nest getragen. Auch bei der Rückkehr bleibt die Gruppe zusammen.
Vor dem gemeinsamen Abmarsch nehmen erstaunlicherweise die großen Ameisen die im Kampf verletzten – meist kleinen – Artgenossen mit, die sich nicht mehr schnell genug selbst fortbewegen können. Diese haben entweder Gliedmaßen verloren oder eine Termite hat sich an ihrem Körper festgebissen. Beim Überfall getötete Ameisen und solche, die mehr als zwei Beine verloren haben, werden nicht geborgen. Im Nest angekommen, werden unter Einsatz der Mundwerkzeuge verbundene Termiten vorsichtig abgetrennt, was die Ameisen wieder beweglich macht. Auch diejenigen, denen Antennen oder Beine fehlen, sind spätestens nach einem Tag wieder voll einsatzbereit für den nächsten Raubzug. In Experimenten stellten die Forscher fest, dass es jede dritte verletzte Ameise nicht schaffen würde, aus eigener Kraft das Nest zu erreichen. Die meisten würden, wenn sie allein unterwegs sind, von Spinnen aufgefressen. Weitere Untersuchungen zeigten, dass verletzte Ameisen Hilfe herbeirufen, indem sie zwei Pheromone freisetzen. Dabei handelt es sich um Dimethyldisulfid and Dimethyltrisulfid, wie chemische Analysen ergaben. Nachdem die Forscher unverletzte Ameisen mit diesen Substanzen markiert hatten, wurden Artgenossen angelockt, die sie ins Nest trugen.
Das Bergen von Verletzten, die schnell wieder kampfbereit sind, erhöht auf Dauer die Koloniegröße um fast 30 Prozent. Das ergab eine Modellrechnung bei einer Geburtenrate von 13 pro Tag, wenn täglich 9 bis 15 Verletzte geborgen werden. Es ist von Ameisen zwar bekannt, dass die eine der anderen hilft, wenn sie zum Beispiel irgendwie feststeckt, abzurutschen droht oder von einem Fressfeind angegriffen wird. Doch im vorliegenden Fall besteht für die verletzten Ameisen keine direkt erkennbare Lebensgefahr. Erst später, wenn sie allein versucht, das Nest zu erreichen, käme es zu einer bedrohlichen Situation – was die Helfer nicht voraussehen können. Dennoch hat sich das Rettungsverhalten entwickelt, weil es für das Überleben der Kolonie vorteilhaft ist. Voraussetzungen dafür waren, dass die Ameisen stets in festen Gruppen agieren und eine relativ geringe Geburtenrate haben, die den Wert des Individuums erhöht, so dass sich der Rettungseinsatz auszahlt. Bei den meisten anderen sozialen Insekten hat das einzelne Tier keinen so großen Wert, weshalb dieses Verhalten dort nicht zu beobachten ist.