Alternative Hypothese: Autismus verändert Darmflora

„Unsere Ergebnisse machen deutlich, welchen bisher unterschätzten Wert die Ernährung für autistische Kinder hat: Sie ist von großer klinischer Bedeutung für die generelle Gesundheit und das Wohlbefinden der Patienten“, sagt Jacob Gratten von der University of Queensland in Brisbane. In der bisher größten Studie dieser Art untersuchten die Wissenschaftler Stuhlproben von 247 Kindern im Alter zwischen 2 und 17 Jahren. Bei 99 dieser Kinder war eine Autismus-Spektrum-Störung diagnostiziert worden. Mit Hilfe von DNA-Analysen ermittelten die Forscher das individuelle Spektrum sämtlicher Arten der Darmbakterien – das so genannte Mikrobiom. Als mögliche Einflussfaktoren berücksichtigten sie zusätzlich Alter und Geschlecht sowie Angaben zur Ernährung jedes einzelnen Probanden. Die Konsistenz des Stuhls lieferte Hinweise auf eine normale oder gestörte Verdauung.
Die Wissenschaftler identifizierten insgesamt mehr als 600 Arten von Darmbakterien. Im Gegensatz zu früheren Studien ergab sich aber nur ein schwacher direkter Zusammenhang zwischen dem individuellen Artenspektrum des Mikrobioms und einer Autismusdiagnose. Eine weit eindeutigere Beziehung bestand dagegen zwischen Symptomen der Krankheit und den Essgewohnheiten: Autistische Kinder waren im Vergleich zu den gesunden oft sehr wählerisch bei der Wahl ihrer Speisen, ernährten sich eher einseitig bei insgesamt schlechterer Qualität der Nahrungsmittel. Auch einzelne für Autisten typische Verhaltensmerkmale wie begrenzte Interessen, Kommunikationsprobleme, ungewöhnliche Sinnesleistungen und Zwangsstörungen waren eng verbunden mit einer wenig abwechslungsreichen Ernährung.
„Unsere Daten unterstützen ein einfaches und intuitives Modell, wonach Merkmale autistischen Verhaltens zu stark eingeschränkten Nahrungsvorlieben führen“, sagt Erstautorin Chloe Yap. Auch Nahrungsmittelunverträglichkeiten könnten eine Rolle spielen. Die daraus resultierende verminderte Artenvielfalt des Mikrobioms sei die wahrscheinliche Ursache für flüssigen Stuhl und eine gestörte Darmfunktion. „Wir warnen davor zu behaupten, das Mikrobiom sei die treibende Kraft bei der Entwicklung autistischer Störungen“, erklären die Autoren. Es sei aber nicht auszuschließen, dass Veränderungen der Darmflora bereits vor der Autismusdiagnose eine krankheitsfördernde Wirkung haben und das spätere Verhalten beeinflussen könnten. Weitere Studien seien nötig, um die Zusammenhänge zwischen Autismus, Ernährung und Mikrobiom endgültig zu klären. Autismus-Spektrum-Störungen haben genetische Ursachen, doch der genaue Mechanismus der Krankheitsentstehung ist noch unbekannt.
Gestörte Darmflora bei autistischen Kindern
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