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Wanderfalter - die Zugvögel unter den Schmetterlingen

Einige unserer Schmetterlinge sind Langstreckenflieger

Der Admiral (Vanessa atalanta) ist ein tagaktiver Wanderfalter
Der Admiral (Vanessa atalanta) ist ein tagaktiver Wanderfalter
© Tim Bekaert (Tbc)
von Joachim Czichos


Nicht alle unsere Schmetterlinge flattern nur so herum, von einer Blüte zur anderen. Einige haben eine Reise von mehreren hundert oder gar tausend Kilometern hinter sich und beherrschen die Kunst der Langstreckennavigation. Wie die Zugvögel fliegen manche Wanderfalter jedes Jahr im Frühling aus Afrika und dem Mittelmeerraum nach Mittel- und Nordeuropa ein. Im Unterschied zu den Vögeln kehren sie selbst allerdings nicht mehr zurück. Erst ihre Nachkommen versuchen im Herbst den Rückflug. Einigen gelingt das auch, viele schaffen es nicht und erfrieren.


Tagfalter wie Admiral, Postillion oder Distelfalter sind beileibe keine schnellen Flieger. Sie bewegen ihre breiten Flügel beim Flatterflug mit etwa zehn Schlägen pro Sekunde und erreichen damit Geschwindigkeiten von 7-15 km/h – mit Rückenwind auch schon mal das Doppelte. Da sind auch die Langsamsten unter den Zugvögeln mit 40 km/h deutlich schneller. Diese werden aber übertroffen von den Schwärmern, den Schnellfliegern unter den Schmetterlingen, von denen die meisten nachts und in der Dämmerung unterwegs sind. Ihre Flügel sind schmaler und ermöglichen einen Schwirrflug: Mit einer Frequenz von 70 Schlägen pro Sekunde kommen sie auf ein Flugtempo von 50 km/h. Das Taubenschwänzchen, das als tagaktiver Schwärmer durch seinen kolibriartigen Flug auffällt, erreicht sogar 60 km/h und mehr. Für die 2000 bis 3000 km lange Strecke von Nordafrika oder Südeuropa bis zu uns brauchen diese Falter etwa zwei Wochen.

Reisewellen im Frühling und Herbst

Die aus Afrika anreisenden Schmetterlinge benutzen unterschiedliche Flugrouten: Eine führt über Gibraltar, Spanien und Frankreich, eine andere über Sardinien, Korsika und die Alpen, eine weitere über die Türkei und den Balkan. In Europa lassen sich große Schwärme wandernder Tag- und Nachtfalter in den Alpenpässen beobachten, wenn sie im Frühling aus dem Süden einfliegen. Noch beeindruckender und am besten erforscht sind die Massenwanderungen der amerikanischen Monarchfalter. Im Herbst fliegen sie aus dem Norden der USA 3500 km weit in ihr Winterquartier in Mexiko. Dort sammeln sie sich in einer gebirgigen Waldregion und hängen den Winter über in einer Kältestarre dichtgedrängt an den Ästen der Bäume. Im Frühling beginnt der Rückflug, dessen Ziel aber erst die nächsten Faltergenerationen erreichen. Je nach Stärke und Richtung des Windes legen die Monarchfalter am Tag zwischen 70 und 300 Kilometer zurück. Nach 8-12 Wochen ist die Gesamtstrecke bewältigt.


Wie bei den Zugvögeln ist das Wanderverhalten der Schmetterlinge genetisch festgelegt, wird aber durch Umweltfaktoren wie Nahrungsangebot und Klima beeinflusst. Warum sie überhaupt wandern, ist in vielen Fällen nicht geklärt. Möglicherweise ist das Verhalten eine Strategie, mit der sie Klimaveränderungen schnell dazu nutzen können, ihr Verbreitungsgebiet zu erweitern.

Wie finden Schmetterlinge ihr Ziel?

Über die Flugorientierung weiß man von Schmetterlingen sehr viel weniger als von Zugvögeln, sagt Professor Henrik Mouritsen von der Universität Oldenburg. Zusammen mit Barrie Frost hatte er 2002 einen Flugsimulator entwickelt, mit dem sich die gewählte Flugrichtung eines an einem Faden befestigten Monarchfalters aufzeichnen lässt. Die Versuchsanordnung ermöglichte es erstmals, unter kontrollierten Bedingungen den Einfluss unterschiedlicher Faktoren auf das Flugverhalten genauer zu untersuchen. Im Herbst gesammelte Schmetterlinge flogen, wie sie es auch in der Natur getan hätten, im Flugsimulator in südwestlicher Richtung. Wurde zuvor durch einen veränderten Hell-Dunkel-Rhythmus die innere Uhr der Tiere verstellt, änderte sich die Flugrichtung um einen entsprechenden Winkel. Das bestätigte, dass auch Schmetterlinge, wie die Zugvögel, über einen zeitkompensierten Sonnenkompass verfügen. Um die richtige Richtung einzuschlagen, müssen die Tagfalter die Sonne direkt sehen, bei bedecktem Himmel werden sie orientierungslos. Ob der Winkel des Sonnenstandes über dem Horizont, die Lichtintensität oder das Spektrum des Sonnenlichts die entscheidenden Signale sind, weiß man noch nicht. Versuche, beim tagaktiven Monarchfalter einen Magnetkompass nachzuweisen, sind bisher negativ verlaufen. Aber es sei nicht auszuschließen, so Mouritsen, dass wandernde Nachtfalter – wie nachts ziehende Vögel auch – das Magnetfeld der Erde zur Navigation nutzen. Über die Flugorientierung der nachts wandernden Schmetterlinge wisse man allerdings noch so gut wie gar nichts.

(zuerst erschienen in "explore":
Das Kundenmagazin der TÜV NORD Gruppe)


 

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