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Die Last mit dem Ballast
Von Cornelia Dick-Pfaff
Blinde Passagiere sind auf Schiffen
eigentlich alles andere als gern gesehen. Doch die Giganten der Meere holen sich
tagtäglich Milliarden von ihnen an Bord - und das sogar mehr oder weniger freiwillig:
Im Ballastwasser reist eine Vielzahl der unterschiedlichsten Organismen mit um
die Welt. Das allein wäre nicht großartig bedenklich. Aber im Zielhafen wird
das Wasser meist wieder abgelassen und mit ihm die blinden Passagiere, die unter
Umständen in der neuen Heimat enormen ökologischen oder auch wirtschaftlichen Schaden
anrichten können.
Ballastwasser ist aus der modernen
Schifffahrt nicht mehr wegzudenken. Es dient zur Stabilisierung der Schiffe,
wenn sie leer oder ungleichmäßig beladen sind, und sorgt für eine sichere Lage
im Wasser. Früher nutzten die Seeleute massiven Ballast wie etwa Sand oder
Steine als Ausgleich. Seit etwa 150 Jahren aber hat zunehmend Wasser diese
Rolle übernommen. Es ist weitaus leichter zu handhaben. An Rumpf und Seiten moderner
Frachter sind große Tanks in die Schiffswand eingebaut, die je nach Bedarf für
den optimalen Gewichtsausgleich mit Wasser befüllt oder entleert werden können
– und Wasser ist in jedem Hafen in rauen Mengen vorhanden und kann einfach an
oder von Bord gepumpt werden. Das System ist zudem hochgradig flexibel: Wenn etwa
in einem Hafen nur ein Teil der Ladung gelöscht wird oder eine verrutschte
Ladung das Gleichgewicht stört, kann das relativ leicht ausgeglichen werden.
Gerade das Wasser küstennaher Gewässer
ist aber reich belebt. So gelangen mit dem Ballastwasser Unmengen an
Organismen, ja sogar ganze Organismengesellschaften an Bord und gehen mit auf
die Reise um den Erdball. Und die dauert heutzutage auch gar nicht mehr so
lange. Die Ozeanriesen kommen derart schnell voran, dass viele der
unfreiwilligen Mitreisenden die stressreiche Fahrt sogar überleben. Wird das
Ballastwasser in einem fernen Hafen dann wieder abgelassen, werden diejenigen
blinden Passagiere, welche die Strapazen in den dunklen Tanks überstanden
haben, in einem fremden Ökosystem ausgesetzt - und können dort unter Umständen
erheblichen Schaden anrichten. Auch auf der Außenhaut der Ozeanriesen finden
sich blinde Passagiere, doch ist die Fahrt dort weitaus stressreicher. So sind
die Mitreisenden dort den vollen Wetterbedingungen ausgesetzt und der
Salzgehalt des Wassers ändert sich während der langen Reise, was für viele
schon das Aus bedeutet - sie überstehen diesen Stress nicht.
"Potenziell können alle Arten
von Organismen gefährlich werden", erklärt Ralf-Norbert Hülsmann von der
Freien Universität Berlin, der sich seit Jahren mit der Problematik von
Ballastwasser beschäftigt. "Das hängt von den Bedingungen in den
Zielgebieten ab." Grundsätzlich sind vor allem Generalisten als kritisch
einzustufen; denn sie sind häufig außerordentlich anpassungsfähig und nicht
sonderlich wählerisch, was ihren Speiseplan angeht. Hat der unfreiwillige
Einwanderer in der neuen Heimat dann auch noch keine natürlichen Feinde, kann
er sich mehr oder weniger unkontrolliert vermehren und eine ökologische
Katastrophe verursachen.
So in etwa geschehen bei der
Zebramuschel Dreissena polymorpha. Die Süßwassermuschel ist ursprünglich beheimatet
im Kaspischen Meer. Auch in hiesige Gewässer ist die bis zu vier Zentimeter
lange und zwei Zentimeter breite Muschel schon vorgedrungen. "Hier bei uns
bereitet sie kaum Probleme", sagt Hülsmann. In Nordamerika sieht das
dagegen völlig anders aus. Dort gehört sie zu den gefährlichsten Invasoren
überhaupt und richtet jährlich enormen Schaden an. Die Muschel überrannte
förmlich nahezu sämtliche Konkurrenten und trat ihren Siegeszug durch die
nordamerikanischen Seen an. "Sie wandert in Kühlsysteme und in die
Wasserversorgung ein", schildert der Biologe die Problematik. "Die
Muscheln siedeln aufeinander und bilden dadurch ganze Cluster, welche die
Systeme verstopfen." Dass die Zebramuschel tatsächlich mit Ballastwasser in
die nordamerikanischen Seen gelangte, muss zwar noch nachgewiesen werden, es
ist aber überaus wahrscheinlich. "Aus eigener Kraft kann sie diese Reise unmöglich
bewerkstelligt haben", erläutert Hülsmann.
Die Zebramuschel ist kein
Einzelfall. So gelangte umgekehrt die Meerwalnuss Mnemiopsis leidyi von den
nordamerikanischen Küstengebieten ins Kaspische Meer – vermutlich in
Ballastwassertanks. Diese Rippenqualle vermehrte sich außerordentlich gut unter
den neuen Lebensbedingungen und brachte das dortige ökologische Gleichgewicht
völlig durcheinander. Oder der aus asiatischen Gewässern stammende
Nordpazifische Seestern Asterias amurensis, der in Australien und auch in
Nordamerika ganze Muschelpopulationen bedroht – nachdem er aller
Wahrscheinlichkeit nach mit dem Ballastwasser vor Ort gelangte.
Um die Gefahr einzudämmen, die
potenziell von mit dem Ballastwasser verschleppten Lebewesen ausgeht, gibt es
eine Reihe von Möglichkeiten. Auch von der IMO, der International Maritim
Organization, werden einige vorgeschlagen, manche sogar vorgeschrieben.
"Recht sicher ist schlicht Prophylaxe", sagt Hülsmann. Dazu gehört
etwa, das Ballastwasser nicht in der Nacht aufzunehmen, weil viele Organismen dann
besonders aktiv sind, und nicht bei so genannten Roten Tiden, in denen toxische
Einzeller in Massen auftreten. Dagegen wird die Wasseraufnahme bei Flut
empfohlen, weil dann der Abstand zum Boden wächst und damit die
Wahrscheinlichkeit sinkt, dass am Meeresgrund lebende Organismen mit
aufgenommen werden. "Eine weitere Methode ist das Auswechseln des
Ballastwassers auf hoher See", so der Biologe. Dies stelle aber wiederum
eine starke Belastung für den Schiffsrumpf dar.
Darüber hinaus wird an so genannten
Hydrozyklonmechanismen geforscht, in denen das eingesogene Wasser in Rotation
versetzt wird, so dass sämtliche Teilchen an den Rand geschleudert werden und
in der Mitte ein sauberer Wasserstrahl entsteht. "Parallel laufen überall
auf der Welt Versuche, die Organismen gezielt abzutöten: Man arbeitet auch mit UV-Licht,
Ultraschall und Ozonisierung des Wassers und erzielt damit bereits recht
zufrieden stellende Ergebnisse. Gelänge es nun auch noch, die Fördermengen dieser
Aufbereitungssysteme entsprechend zu erhöhen, würde das in Zukunft das Ende für
die blinden Passagiere bedeuten.
zuerst erschienen in explore:
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