Magazin
Vom Untergang des Lesens keine Spur

Von Cornelia Dick-Pfaff
Ein schönes Buch hat etwas Sinnliches, ja, beinahe schon
etwas Magisches. Es sieht nicht nur schön aus, sondern fasst sich auch angenehm
an, liegt gut in der Hand und verströmt einen ganz typischen Geruch. Doch im Zeitalter von CDs und Computern, von
Film, Fernsehen und Internet fragt man sich unweigerlich: Wer liest überhaupt
noch in dieser Welt, die stark von Schnelllebigkeit und Zeitdruck geprägt ist? Haben
Bücher nicht eigentlich längst ausgedient? Oder können sie doch ein Mittel zur
Entspannung sein, das heute mehr genutzt wird denn je?
Die aktuelle Studie zur Massenkommunikation, die alle fünf Jahre im Auftrag von ARD und ZDF durchgeführt wird, bestätigt die Erfahrungswerte aus der Praxis der Stadtbücherei Heidelberg: Lesen erfreut sich zunehmender Beliebtheit und wird zudem auch in der von modernen Medien geprägten Welt durchaus noch als Freizeitaktivität mit hoher Erlebnisqualität empfunden. In Sachen Emotionalität steht das Buch dem Fernsehen beispielsweise in nichts nach. Insgesamt haben die Menschen mehr Zeit für Freizeitaktivitäten. Diese ist in den vergangenen Jahren auf etwa sechs Stunden täglich gestiegen, von denen im Schnitt 65 Minuten dem Lesen von Zeitungen, Zeitschriften und auch Büchern gewidmet werden. Damit hat der Zeitaufwand fürs Lesen seit der vorherigen Studie um zwölf Prozent zugenommen.
Mehr als 70 Prozent der Befragten gaben an, gern oder besonders gern die Tageszeitung zu lesen. Bei Zeitschriften waren es noch knapp 65 Prozent und bei Büchern gut 55 Prozent. Vor allem Spaß, Spannung, Entspannung und Ausgleich und Abwechslung vom Arbeitsalltag werden beim Lesen gesucht. Und an dieser Stelle ist das Buch dem Fernseher durchaus voraus; denn Lesen wird vielfältiger erlebt und erreicht dadurch eine stärkere Erlebnistiefe, ergab die Umfrage. Darüber hinaus wird nach wie vor gerne zur Orientierung und Information gelesen und soziales Erleben spielt ebenfalls häufig eine Rolle.
Auch wenn das Buch noch lange nicht ausgedient hat, steht doch eines fest: Die Art und Weise, wie die Bücherei genutzt wird, hat sich verschoben – nicht zuletzt auch durch das Internet. Bei Fachliteratur und Sachbüchern geht die Ausleihe eher zurück. Wer Fachinformationen sucht, der setzt heutzutage mehr aufs World Wide Web und googelt erstmal was das Zeug hält. Auf Sachbücher wird eher selten zurückgegriffen. Ebenso stehen den Stadtbüchereinutzern mit dem Medium Internet völlig andere Möglichkeiten zur Verfügung als noch vor einigen Jahren. So können sie zum Beispiel ausgeliehene Bücher über die Homepage der Bücherei verlängern. Dementsprechend sind die physischen Besucherzahlen etwas zurückgegangen, und die virtuellen Besucher werden bislang nicht mitgezählt. Dennoch: Wer erst einmal da ist, der bleibt heutzutage länger. "Wir haben eine intensivere und alltäglichere Nutzung als früher", erklärt Wolf-Hauschild. "Viele wollen sich umfassender informieren und nehmen sich dann auch die Zeit dafür. Und die Abbrüche werden geringer. Die Leute bleiben uns treu."
Bis vor einem Jahr sind die Zahlen der Nutzer der
Heidelberger Stadtbücherei stetig gestiegen. Die geringen Verluste aus dem
vergangenen Jahr schreibt die Direktorin dem Trubel um die WM und der großen
Hitze zu. Dennoch kann und will man sich nicht in Sicherheit wiegen. Die
Ansprüche der Nutzer haben sich geändert und darauf wird auch reagiert. "Wir
werden Angebot und Outfit neu frisieren müssen und dem anpassen", sagt
Wolf-Hauschild. "Ein Buch ist etwas Kostbares, etwas Haptisches, schön Gestaltetes
und das wird wieder geschätzt. Wir schaffen Atmosphäre." So bietet das
büchereieigene Cafe bereits einen Mittagstisch an, um einen Anreiz für einen
kurzen Besuch in der Mittagspause zu schaffen. Darüber hinaus wird zum Beispiel
daran gedacht, WLAN zur Verfügung zu stellen, damit der eigene Laptop
mitgebracht und auch in vollem Umfang genutzt werden kann.
Selbst in der stark von Technik geprägten Welt hat das gute
alte Buch also nach wie vor seinen Platz. Neben Zeitung und Zeitschrift dient
es tatsächlich der Entspannung, dem Eintauchen in andere Welten und vom
Untergang des Lesens kann wahrhaft nicht die Rede sein.
zuerst erschienen in explore:
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