Wie sich Fadenwürmer am Magnetfeld der Erde orientieren
„Niemand hatte erwartet, dass Würmer die Wahrnehmung des Erdmagnetfelds dazu nutzen würden, um hoch und runter zu kriechen“, sagt Jonathan Pierce-Shimomura von der University of Texas in Austin. Sein Forscherteam experimentierte mit Fadenwürmern, die aus Böden in Hawaii, England und Australien entnommen worden waren. Hungrige Tiere, die von der nördlichen Halbkugel stammten, krochen in mit Gelatine gefüllten Röhrchen nach unten. Dagegen bewegten sich die australischen Würmer bei der Nahrungssuche im texanischen Labor nach oben. Die Gravitation konnte also für die Bewegungsrichtung keine Rolle spielen. Vielmehr stellte sich heraus, dass die Tiere an die unterschiedliche Richtung der Magnetfeldlinien ihres heimatlichen Lebensraums angepasst waren: Sie orientierten sich an einem genetisch festgelegten Winkel zum ortstypischen Magnetfeld, so dass sie sich unter natürlichen Umständen im Hungerzustand stets nach unten und gesättigt nach oben bewegen würden.
Die Forscher erklären dieses Verhalten damit, dass es für die Würmer zwei Futterquellen an verschiedenen Orten gibt. Verrottende Früchte an der Oberfläche stellen eine sehr üppige, aber nur zeitweise verfügbare Nahrung dar. Andererseits stehen Bodenbakterien im Wurzelbereich von Pflanzen immer zur Verfügung, haben aber einen geringeren Nährwert. Daher wäre es sinnvoll, bei Nahrungsmangel nicht an der Oberfläche zu bleiben, sondern nach unten zu kriechen. Möglicherweise nutzen auch andere Lebewesen im Boden das Erdmagnetfeld, um sich zu orientieren, vermutet Erstautor Andrés Vidal-Gadea.
Es war bekannt, dass C.elegans über zwei spezielle Nervenzellen, die AFD-Neuronen, verfügt, welche eine Wahrnehmung von Feuchtigkeit, Temperatur und Kohlendioxidgehalt ermöglichen. Nun prüften die Biologen, ob diese Sinneszellen auch als Sensoren für Magnetfelder dienen. Tatsächlich waren genetisch veränderte Tiere mit defekten AFD-Neuronen nicht mehr zu einer gerichteten Vertikalbewegung fähig. Durch ein bildgebendes Verfahren konnten die Forscher sogar direkt zeigen, dass funktionierende AFD-Neuronen bei Veränderungen des Magnetfelds in einen aktivierten Zustand übergehen. Schließlich identifizierten sie ein Protein der Neuronen, das als Ionenkanal fungiert, der bei magnetischer Anregung ein elektrisches Signal erzeugt. Die Forscher nehmen an, dass magnetische Partikel in den antennenartigen Fortsätzen am Ende der Neuronen durch ein Magnetfeld stimuliert werden und den Ionenkanal aktivieren. Vielleicht laufen dieselben Prozesse auch in spezialisierten Nervenzellen von Schmetterlingen und Vögeln ab, die sich am Erdmagnetfeld orientieren, sagt Pierce-Shimomura. Bei den Partikeln könnte es sich um Magnetitkristalle aus Eisenoxid handeln, wie sie bei Bakterien und Tauben gefunden wurden.