Wie Heuschrecken Schwärme bilden: Pheromon entdeckt

Nachweis eines Aggregationspheromons, das die gegenseitige Anziehung einzelner Wanderheuschrecken bewirkt, ermöglicht neue Bekämpfungsstrategien
Europäische Wanderheuschrecken (Locusta migratoria) sind in der solitären Lebensphase grün und in der Schwarmphase bräunlich gefärbt.
Europäische Wanderheuschrecken (Locusta migratoria) sind in der solitären Lebensphase grün und in der Schwarmphase bräunlich gefärbt.
© Gilles San Martin / Creative Commons Lizenz CC BY-SA 2.0, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/deed.en
Peking (China) - Zur Plage werden Wanderheuschrecken erst dann, wenn die zunächst einzeln lebenden Tiere ihre Lebensweise radikal ändern: Sie bilden eine schnell wachsende Gruppe, die dann als riesiger Schwarm über das Land zieht und durch Kahlfraß jede Vegetation vernichtet. Jetzt haben chinesische Biologen das lange gesuchte chemische Signal, ein so genanntes Aggregationspheromon, identifiziert, das diese folgenschwere Verhaltensänderung auslöst. Wie die Forscher in „Nature“ mitteilen, sei es nun vielleicht möglich, die Schädlinge in Pheromonfallen zu locken oder spezifische Hemmstoffe zu entwickeln, die eine Schwarmbildung verhindern.

„Als eine der gefährlichsten und die am weitesten verbreitete Heuschreckenart ist die Europäische Wanderheuschrecke (Locusta migratoria) noch immer eine große Bedrohung der Landwirtschaft weltweit“, schreiben Le Kang und Kollegen von der Chinese Academy of Sciences in Peking. Bisher besteht die einzige Möglichkeit, einen einfallenden Schwarm zu bekämpfen, im schnellen Einsatz von Insektiziden – was allerdings auch nützliche Insekten schädigt. Um gezieltere Maßnahmen entwickeln zu können, suchten die Forscher nach dem Aggregationspheromon, das die Heuschrecken freisetzen, um sich gegenseitig anzuziehen und die Schwarmbildung ermöglichen.

Im Körper und in den Ausscheidungen der Tiere identifizierten sie 35 leicht flüchtige Substanzen, die als Pheromone in Frage kamen. Sechs davon fanden sich bei Heuschrecken in der Schwarmphase in deutlich größeren Mengen als bei den einzeln lebenden Insekten. Doch nur eine einzige Verbindung – 4-Vinylanisol (4VA) – wirkte in Labortests stark anziehend auf Männchen und Weibchen, unabhängig von Alter und Lebensphase. Je größer die Populationsdichte der Heuschrecken, desto höher war der Gehalt an 4VA in der Umgebungsluft. Erstaunlicherweise genügte es im Experiment schon, eine kleine Gruppe von vier bis fünf Tieren zusammenzubringen, um die Produktion des Pheromons anzukurbeln.

Die Insekten nahmen den für menschliche Nasen süßlich riechenden Duftstoff über spezielle Sinneszellen in den Fühlern wahr, wie die Forscher durch Messungen von Nervensignalen nachweisen konnten. Es gelang ihnen auch, das Rezeptorprotein (OR35) zu identifizieren, das durch Kontakt mit 4VA, nicht aber durch andere Pheromone, aktiviert wurde. Genetisch veränderte Heuschrecken, die kein intaktes OR35 mehr bilden konnten, reagierten auf das Aggregationspheromon nicht mehr so wie normale Tiere. Die Biologen bestätigten die Wirksamkeit des Pheromons unter Freilandbedingungen, indem sie den Signalstoff auf einzelne Bodenstellen träufelten: Das führte dazu, das sich aus dem Labor freigelassene Heuschrecken darauf ansammelten. Als die Wissenschaftler schließlich mehrere Pheromonfallen in einem weiträumigen Gebiet platzierten, lockten sie damit auch freilebende Heuschrecken an – wenn auch nur in geringer Zahl.

Möglicherweise ließe sich die Effektivität solcher Fallen zur Schädlingsbekämpfung zum Beispiel durch ein chemisch optimiertes Pheromon erhöhen, schreibt Leslie Vosshall von der Rockefeller University in New York in einem begleitenden Beitrag. Außerdem sei noch nicht geklärt, ob dasselbe Pheromon auch bei anderen Wanderheuschrecken wie der Wüstenheuschrecke (Schistocerca gregaria) wirksam ist. Vielleicht wäre auch der Einsatz eines Hemmstoffs sinnvoll, der die Bindung von 4VA an den Rezeptor OR35 blockiert: Nach Versprühen einer solchen Substanz könnten sich die Insekten nicht mehr in größerer Zahl versammeln, Schwärme bilden und Ernten vernichten.

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