Weniger Vorurteile dank Online-Dating

„Menschen erwarten wegen ihrer Erfahrungen in einer Gesellschaft mit Rassismus, dass sie möglicherweise diskriminiert werden – und sie vermeiden meist, als erste Kontakt aufzunehmen“, sagt Kevin Lewis, Soziologieprofessor an der University of California San Diego. „Wenn aber jemand von anderer Rasse sich für sie interessiert, sind ihre Annahmen widerlegt – und sie sind eher bereit, Menschen dieser Gruppe in der Zukunft eine Chance zu geben“. Lewis hatte anonymisierte Daten der großen US-amerikanischen Online-Singlebörse "OkCupid" ausgewertet. Über den Zeitraum von zweieinhalb Monaten analysierte er das Kontaktverhalten von 126.134 Nutzern. Von ihnen war nur das Geschlecht und die ethnische Gruppe bekannt, in die sie sich beim Anmelden selbst eingeordnet hatten: schwarz, weiß, asiatisch, indisch oder lateinamerikanisch. Lewis hatte dabei nur die Daten der Erstkontakte zur Verfügung, also Datum, Sender, Empfänger und die Tatsache, ob es eine Antwort gegeben hatte oder nicht. Dabei berücksichtigte er, anders als es in früheren Studien der Fall war, ob Kontakte aufgrund von Vorurteilen oder wegen zu großer Entfernung abgelehnt wurden.
Seine Ergebnisse erklärt der Soziologe als eine Art „vorbeugende Diskriminierung“ zum Selbstschutz: „Nutzer aller ethnischen Hintergründe sind bereiter, Rassengrenzen zu überschreiten, wenn sie antworten, als wenn sie selbst den Kontakt beginnen“. Das Phänomen sei bei allen Gruppen ähnlich hoch. Am häufigsten blieben dabei noch die Nutzer mit asiatischem und indischem Hintergrund unter ihresgleichen, am seltensten die weißen Nutzer. Und der Erstkontakt verändert offenbar das Verhalten, sagt Lewis: „Nutzer, die eine solche Nachricht bekommen und beantworten, initiieren selbst mehr Kontakte über Rassengrenzen hinweg als sie es sonst tun“. Allerdings halte dieser Effekt jeweils nur rund eine Woche lang an, dann setzten wieder alte Vorurteile ein. Doch eine Reihe solcher Brückenschläge sei selbstverstärkend, schreibt Lewis: „Sie können eine Kette künftiger interethnischer Kontakte in Gang setzen“.
Das Phänomen einer solchen freiwilligen Abschottung in Beziehungsnetzwerken ist Sozialforschern lange bekannt, jetzt aber erlaubt das Datenmaterial eine genauere Untersuchung und neue Einsichten. Zudem nehmen Internet-Kontakte zu, so die Schätzungen: Rund 20 Prozent der heterosexuellen und bis zu 70 Prozent der homosexuellen Paare in westlichen Ländern begegnen sich heutzutage zuerst online. Entsprechend ist Lewis optimistisch, dass sich die eingeschliffenen Muster bei der Partnersuche verändern lassen. Schließlich beruhten sie oft auf falschen Annahmen, sagt er, „und ethnische Grenzen sind brüchiger, als wir denken“.