Weniger Hunger auf Menschenfleisch als mitunter behauptet
"Es war für Jahre ein historisches Rätsel, doch nun wird dieser Unstimmigkeit schließlich auf den Grund gegangen", erklärt Nathaniel J. Dominy von der University of California in Santa Cruz. "Wir können uns vorstellen, dass die Eisenbahngesellschaft Gründe gehabt haben könnte, die Zahl der Opfer minimieren zu wollen, und Patterson könnte Gründe gehabt haben, die Zahl aufzublasen. Also wem sollen wir trauen? Wir entfernen all diese Faktoren und machten uns an die Daten." Um anhand der über hundert Jahre alten Gewebeproben der beiden Menschenfresser noch die Zahl der Gefressenen festzustellen, hatten die Forscher Verhältnisse bestimmter stabiler Isotope in den Proben analysiert. Indem sie diese Muster mit den isotopischen Signaturen potenzieller Beutetiere verglichen, konnten sie einschätzen, was die Löwen in welchen Mengen gefressen hatten. Die Haar- und Knochenproben der Löwen stammten aus dem Field Museum of Natural History in Chicago, wo die ausgestopften Tiere heute ausgestellt sind. Menschliche Proben erhielten die Forscher aus einer Sammlung, die von einer archäologischen Afrika-Expedition des Antropologen Louis Leakey aus dem Jahre 1929 stammten.
Die Ergebnisse der Untersuchungen zeigen: Während der letzten neun Monate der Löwen, welche Patterson als deren Schreckensherrschaft bezeichnete, bestand etwa die Hälfte der Nahrung des einen Löwen tatsächlich aus Menschenfleisch. Er hatte schätzungsweise 24 Menschen gefressen. Bei seinem Begleiter, der auch überraschend viel pflanzliche Nahrung zu sich nahm, schätzen die Biologen die Zahl auf 11. "Unsere Belege weisen nur die Zahl der gefressenen Menschen nach, nicht die der getöteten", betont Dominy. Außerdem ist rein rechnerisch ein weiterer Rahmen denkbar. Demnach ist möglich, dass die Löwen zwischen 4 und 72 Menschen gefressen haben.
Vor mehr als hundert Jahren war das Nahrungsangebot für die Raubtiere vermutlich knapp, so dass sie gezwungen waren, auch alternative Möglichkeiten zu nutzen. Obwohl die beiden Männchen zusammen lebten und jagten, unterschieden sich ihre kulinarischen Vorlieben doch deutlich. Diese starken Differenzen in der Ernährungsweise erklären die Biologen damit, dass bei engem Zusammenleben dennoch Individualität erhalten bleibt.
"Tsavo-Menschenfresser" sowie "Der Geist" und "Die Dunkelheit" waren Namen, die den beiden Löwen gegeben wurden. Die Begebenheit erregte zu ihrer Zeit enorme Aufmerksamkeit und wurde mehrfach verfilmt - unter anderem in "Der Geist und die Dunkelheit" mit Val Kilmer als Patterson in der Hauptrolle.