Teixobactin – ein neuartiges Antibiotikum aus dem Boden

Zuvor nicht anzüchtbare Bodenbakterien produzieren einen Wirkstoff, der auch multiresistente Staphylokokken abtötet
Im Boden leben zahlreiche Bakterienarten, die Antibiotika produzieren, um sich gegen konkurrierende Mikroben zu behaupten.
Im Boden leben zahlreiche Bakterienarten, die Antibiotika produzieren, um sich gegen konkurrierende Mikroben zu behaupten.
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Boston (USA) - Zahlreiche der heute eingesetzten Antibiotika stammen aus einigen wenigen Arten von Bodenbakterien, die sich im Labor leicht anzüchten lassen. Doch 99 Prozent der im Boden lebenden Mikroben sind durch Standardverfahren gar nicht kultivierbar. In dieser sogenannten „mikrobiellen Dunklen Materie“ hat ein deutsch-amerikanisches Forscherteam jetzt mit Hilfe spezieller Anzuchtmethoden ein Bakterium entdeckt, das ein völlig neuartiges Antibiotikum produziert: Teixobactin. Mit diesem Wirkstoff konnten die Biologen in Tierversuchen auch Infektionen durch multiresistente Staphylokokken (MRSA) erfolgreich behandeln, wie sie im Fachjournal „Nature“ berichten. Teixobactin verhindert den normalen Aufbau der Zellwand und bringt so die Bakterien zum Platzen. Dabei erschwert der ungewöhnliche Wirkmechanismus eine Entwicklung von resistenten Keimen.

„Bisher nicht kultivierbare Bakterien sind eine noch ungenutzte Quelle für neue Antibiotika“, schreiben Kim Lewis von der Northeastern University in Boston und seine Kollegen. Die Ausbreitung von Bakterien, die gegen die vorhandenen Mittel resistent geworden sind, könne durch Einführung neuer Wirkstoffe kaum noch kompensiert werden. Denn die üblichen Methoden für die Suche nach neuen Antibiotika lieferten nur noch Substanzen, deren chemische Struktur bereits bekannten Wirkstoffen ähnelt. Deshalb setzten die Forscher – darunter auch Biologen der Universität Bonn – für ihre Suche eine ungewöhnliche Screeningmethode ein. Mit ihrem selbst entwickelten sogenannten iChip gelang es ihnen, bisher nicht anzüchtbare Bodenbakterien zu identifizieren, die Substanzen mit antibiotischer Wirkung freisetzen.

Dazu füllten sie stark verdünnte Aufschwemmungen von Bodenproben in miniaturisierte Kulturgefäße und deckten sie mit Membranen ab, die für Nährstoffe durchlässig waren. Diese Chips wurden dann für einen Monat in der Erde vergraben, aus der die Bodenproben stammten. Dadurch konnten sie fast die Hälfte der ursprünglich vorhandenen Bakterienzellen zur Vermehrung anregen. Würden die Proben direkt auf Nähragar in Petrischalen aufgetragen, gelänge das nur bei einem Prozent der Zellen. Bakterien, die nach diesem ersten Schritt gewachsen waren, ließen sich dann als Reinkulturen im Labor auch in größeren Mengen anzüchten. Die Forscher testeten Extrakte von 10.000 solcher Kulturen darauf, ob sie Substanzen enthielten, die Staphylokokken abtöten. Die Bakterien einer Kultur, die eine besonders wirksame Substanz produzierten, ließen sich keiner bekannten Spezies zuordnen und erhielten den vorläufigen Namen Eleftheria terrae.

Die Analyse des Wirkstoffs lieferte eine chemische Struktur, die keiner der zurzeit verwendeten Antibiotika ähnelte. Die Teixobactin genannte Verbindung tötete nicht nur Staphylokokken ab, sondern war unter anderem auch gegen Enterokokken, Clostridium difficile, Mycobacterium tuberculosis und den Anthrax-Erreger Bacillus anthracis wirksam. Diese Keimarten zählen alle zu den Gram-positiven Bakterien, die eine andere Zellwandstruktur aufweisen als Gram-negative Bakterien wie E. coli oder Pseudomonaden. Diese besitzen eine zusätzliche äußere Membran, die das Antibiotikum daran hindert, seinen Wirkungsort in der Zellwand zu erreichen. Daher war Teixobactin gegen die meisten Gram-negative Bakterien nicht wirksam. Der Produzent Eleftheria terrae ist selbst Gram-negativ und dadurch geschützt.

Erste Tierversuche verliefen sehr vielversprechend: Während 90 Prozent der Mäuse, die mit hochresistenten Formen von Staphylococcus aureus (MRSA) infiziert worden waren, ohne Behandlung starben, überlebten sämtliche Tiere nach einer einmaligen Teixobactin-Injektion. Auch Lungeninfektionen durch Pneumokokken konnten erfolgreich behandelt werden. Das Antibiotikum erwies sich zudem als gut verträglich. Den Forschern ist es nicht gelungen, Stämme von Staphylokokken oder Mykobakterien im Labor zu erzeugen, die gegen Teixobactin resistent geworden waren. Sie halten eine Resistenzentwicklung generell für unwahrscheinlich. Denn es gebe mehrere Bindungsstellen des Antibiotikums im Innern des Zellwandgerüsts, bei denen es sich zudem nicht um Proteine, sondern um Lipidstrukturen handelt. Daher könne durch eine einzelne Mutation keine Resistenz entstehen. Die Biologen wollen mit ihrer Screeningmethode weitere neuartige Antibiotika aufspüren – auch solche, die gegen Gram-negative Bakterien wirken. Es sei wahrscheinlich, so die Autoren, dass es noch mehr natürliche Verbindungen mit ähnlichen Eigenschaften gibt, die nur darauf warten, entdeckt zu werden.

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