Supersänger mit schlechtem Orientierungssinn

Weibliche Singammern bevorzugen die Männchen mit dem größten Repertoire an Liedern, obwohl deren Hirnleistung beim Erlernen räumlicher Orientierung besonders schwach ist
Die Singammer (Melospiza melodia) ist ein in Nordamerika verbreiteter Singvogel.
Die Singammer (Melospiza melodia) ist ein in Nordamerika verbreiteter Singvogel.
© Ken Thomas / Wikimedia, public domain
Durham (USA) - Weibliche Singvögel beurteilen mögliche Brutpartner unter anderem nach deren Gesangsqualität. Der Sänger wirkt umso attraktiver, je abwechslungsreicher seine Darbietung und damit seine Lernfähigkeit ist. Dieser Zusammenhang zwischen Hirnleistung und Gesang gilt jedoch nicht für sämtliche kognitiven Fähigkeiten, haben jetzt amerikanische Biologen herausgefunden. Singammern mit dem größten Liedrepertoire schnitten bei Tests zur räumlichen Orientierung besonders schlecht ab. Wahrscheinlich entwickelt sich bei diesen Vögeln die Hirnregion, die für den Gesang entscheidend ist, auf Kosten eines anderen Hirnbereichs, der die Orientierung im Raum steuert, erklären die Forscher im Fachblatt „Biology Letters“.

„Möglicherweise erfahren Weibchen, die einem Gesang lauschen, sowohl etwas über die kognitiven Stärken als auch über die kognitiven Schwächen des Männchens“, schreiben Kendra Sewall und ihre Kollegen von der Duke University in Durham. Die Forscher ermittelten zunächst sämtliche Gesangsvariationen von 16 männlichen Singammern (Melospiza melodia), indem sie mindestens 300 Gesänge jedes Vogels aufzeichneten. Dann testeten sie die Orientierungsleistung der einzelnen Männchen. Dazu mussten die Ammern lernen, unter sechs verschlossenen Behältern die räumliche Position desjenigen wiederzufinden, in dem Nahrung enthalten war. Die Vögel unterschieden sich stark darin, wie viele Fehler sie dabei machten, also in ihrer Lerngeschwindigkeit.

Je größer die Zahl der Liedvarianten, die ein Sänger beherrschte, desto höher war seine Fehlerquote beim Auffinden der Nahrung. Wenn die Weibchen den Sänger mit dem abwechslungsreichsten Gesang als Brutpartner bevorzugen, nehmen sie also Probleme bei der Orientierungsleistung des Männchens in Kauf. Das sei nur dadurch zu erklären, so die Biologen, dass diese kognitive Fähigkeit für das Überleben der Singammern von relativ geringer Bedeutung ist. Das könnte allerdings bei anderen Vogelarten völlig anders sein – beispielsweise bei Zugvögeln, die lange Flugstrecken zurücklegen müssen. Die Qualität des Gesangs lässt offenbar keine generellen Rückschlüsse auf sämtliche kognitiven Fähigkeiten des Sängers zu, sondern nur auf solche, die der biologischen Fitness der Art dienen.

© Wissenschaft aktuell


 

Home | Über uns | Kontakt | AGB | Impressum | Datenschutzerklärung
© Wissenschaft aktuell & Scientec Internet Applications + Media GmbH, Hamburg