Starkbeben: Spannungen im Untergrund geringer als bisher angenommen
„Sogar in Bruchzonen mit schwachen Reibungskräften können genug Spannungen für ein schweres Erdbeben aufgebaut werden“, sagt Hardebeck. Diese Annahme gründete sie auf einer detaillierten Analyse von zahlreichen schwächeren Beben in direkter Umgebung der wenigen Starkbeben. Besonders beachtete sie die Erdbeben, die oberhalb der unter einem Winkel zwischen 10 und 50 Grad abtauchenden ozeanischen Platten auftraten. Die Dynamik dieser Beben zeigte die Orientierung der vorherrschenden Spannungszonen. Und just diese Orientierung gab Hinweise darauf, dass sich dort eher geringe Spannungen zwischen weicheren Gesteinsmassen aufgebaut hatten.
So legt Hardebecks Analyse nahe, dass auch den Starkbeben nur relativ geringe Spannungen von einigen Dutzend Megapascal vorausgingen. Bisherige Theorien, die vor allem auf Laborversuchen mit ineinander verkeilten Gesteinen beruhten, ließen eher Spannungen von Hunderten Megapascal vermuten. Ein weiteres Indiz sah Hardebeck in den bis zu mehreren hundert Kilometer langen Bruchzonen der Starkbeben. Diese könnten sich nur in relativ weichem Gestein bilden. Denn festeres Gestein – ineinander unter hohen Spannungen verkeilt – hätte die rasche Ausbreitung der Brüche stoppen müssen.
Jeanne Hardebeck ist sich bewusst, dass ihre Analyse die intuitiv schlüssige Annahme in Frage stellt, dass starke Beben besonders hohe Spannungen im Untergrund voraussetzen. Doch auch rein rechnerisch reichen Spannungen von einigen Dutzend Megapascal aus, um Starkbeben mit Magnituden ab 9,0 verursachen zu können. Direkte Messungen in den Subduktionszonen könnten belegen, welches Modell die Genese von Starkbeben am besten beschreibt. Doch dazu wären aufwendige und teure Bohrungen bis in etwa 20 Kilometer Tiefe nötig.