Staphylokokken-Pneumonie: Nervenzellen hemmen die Immunabwehr

Die Überlebensrate infizierter Mäuse steigt, wenn die Funktion bestimmter Schmerzsensoren in der Lunge blockiert wird
Kugelförmige Staphylococcus aureus-Bakterien vom MRSA-Typ (gelb) werden von einem weißen Blutkörperchen, einem neutrophilen Granulozyten (rot), aufgenommen und zerstört (digital kolorierte rasterelektronenmikroskopische Aufnahme).
Kugelförmige Staphylococcus aureus-Bakterien vom MRSA-Typ (gelb) werden von einem weißen Blutkörperchen, einem neutrophilen Granulozyten (rot), aufgenommen und zerstört (digital kolorierte rasterelektronenmikroskopische Aufnahme).
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Boston (USA) - Auch das Lungengewebe ist von Nervenfasern durchzogen, deren Schmerzsensoren auf Verletzungen, Fremdkörper und Entzündungen reagieren. Die über das Rückenmark an das Gehirn übermittelten Informationen führen zu Schmerzempfindungen und können zum Beispiel einen Hustenreiz auslösen. Welche Rolle lokale Nerven bei einer bakteriellen Infektion der Lunge spielen, haben amerikanische Biologen jetzt genauer untersucht. In ihren Experimenten mit Mäusen gingen sie davon aus, dass die Aktivität der Nervenzellen das Immunsystem bei der Abwehr einer Staphylokokkeninfektion unterstützt. Überraschenderweise war das Gegenteil der Fall: Die aktivierten Schmerzrezeptoren der Nervenendigungen unterdrückten die Immunabwehr. Infizierte Mäuse mit experimentell inaktivierten Rezeptoren hatten eine größere Überlebensrate, berichten die Forscher im Fachblatt „Nature Medicine“. Daraus ergeben sich neue Ansätze für unterstützende Therapien von bakteriellen Pneumonien – ohne Antibiotika.

„Die traditionelle Abgrenzung zwischen Nerven- und Immunsystem wird allmählich unscharf“, sagt Isaac Chiu von der Harvard Medical School in Boston. „Unsere Ergebnisse bekräftigen die Annahme, dass beide Systeme miteinander kommunizieren, um die Funktion des jeweils anderen zu regulieren.“ Das Forscherteam untersuchte bei Mäusen den Verlauf von Lungeninfektionen durch Staphylococcus aureus, einer Form der bakteriellen Pneumonie, die bei abwehrgeschwächten Patienten häufig zum Tode führt. Besonders erschwert wird eine Therapie dann, wenn es sich dabei um multiresistente sogenannte MRSA-Erreger handelt.

Die Wissenschaftler vermuteten, dass ein spezieller Typ von Schmerzrezeptoren der Nervenzellen in der Lunge die eingedrungenen Bakterien erkennen und durch bestimmte Signale die Immunabwehr verstärken kann. Doch gentechnisch veränderte Mäuse, deren Rezeptoren durch eine chemische Behandlung zerstört worden waren, konnten eine MRSA-Infektion der Lungen sogar besser abwehren als normale Mäuse. Während nur 4 von 20 normalen Tieren die Infektion überlebten, blieben 17 von 18 Tieren mit defekten Schmerzrezeptoren verschont. Die gestörte Funktion der sensorischen Nervenzellen hatte zur Folge, dass sich die Zahl der ins infizierte Gewebe eingedrungenen neutrophilen Granulozyten etwa verdoppelte. Diese Immunzellen, die Bakterien aufnehmen und zerstören, waren auch beweglicher und insgesamt effektiver als bei Mäusen mit intakten Schmerzrezeptoren. Zudem verstärkten die Mäuse als Antwort auf die Infektion die Produktion immunologischer Botenstoffe und aktivierten mehr gamma-delta-T-Zellen, die speziell bei der Abwehr von Bakterien eine wichtige Rolle spielen.

Schließlich konnten die Forscher nachweisen, dass Nervenzellen mit intakten Schmerzrezeptoren im Gegensatz zu denen mit zerstörten Rezeptoren größere Mengen des Peptids CGRP freisetzen. Dieser Immunbotenstoff war für die insgesamt schwache Immunabwehr gegen die Staphylokokken verantwortlich. Wurde im Tierversuch die CGRP-Produktion blockiert, erhöhte sich die Überlebensrate von infizierten Mäusen. Demnach wäre es möglich, gegen eine durch multiresistente Staphylokokken verursachte Pneumonie ein Medikament einzusetzen, das die Nervenzellen daran hindert, CGRP zu produzieren. Als Ersatz für unwirksam gewordene Antibiotika würde also das Immunsystem aktiviert.

Ob sich die Schmerzrezeptoren der Nerven in der Lunge bei einer Infektion positiv oder – wie in diesem Beispiel – negativ auswirken, könnte vom Erregertyp abhängen, schreiben die Autoren. Es wäre denkbar, dass eine zu starke Aktivierung des Immunsystems bei manchen Erregern überschießende Entzündungsreaktionen auslöst, die tatsächlich mehr schaden als nützen. Einige Krankheitskeime könnten auch die Fähigkeit entwickelt haben, zum eigenen Vorteil gezielt die Immunabwehr zu unterdrücken. Außerdem sei es wahrscheinlich, dass es unterschiedliche Klassen sensorischer Nervenzellen gibt, die Immunreaktionen entweder verstärken oder aber schwächen. Eine schnelle Identifizierung des Erregers wäre wohl Voraussetzung für die richtige Wahl einer Therapie, die auf das Nervensystem abzielt.

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