Seidiger Schutz für empfindliche medizinische Wirkstoffe

Trägermaterial aus Seidenprotein hält Impfstoffe und Medikamente auch ohne Kühlung stabil
Medford (USA) - Viele Impfstoffe und Antibiotika sind wärmeempfindlich. Damit sie ihre Wirksamkeit nicht verlieren, müssen sie stets gekühlt transportiert und gelagert werden. Amerikanische Forscher haben jetzt gezeigt, dass ein Protein der Seidenfaser als chemisches „Verpackungsmaterial“ geeignet ist, um diese Wirkstoffe zu stabilisieren. So behielten ein Impfstoff gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR-Impfstoff) sowie zwei Antibiotika auch nach mehreren Monaten bei Temperaturen bis zu 60 Grad ihre Aktivität, wenn die Substanzen in die vernetzten Molekülketten des Seidenproteins Fibroin eingebettet waren. Das Protein ist gut verträglich und wird im Körper vollständig abgebaut. Das neue Verfahren ist nicht nur kostengünstig. Insbesondere für Menschen in den Entwicklungsländern würde die medizinische Versorgung erheblich verbessert, wenn Medikamente und Impfstoffe auch bei höheren Temperaturen stabil blieben, schreiben die Wissenschaftler im Fachjournal „Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS)“.

„Seidenprotein hat eine eigenartige chemische Struktur, die es haltbar macht, biokompatibel, resistent gegen Feuchtigkeit und stabil gegen extreme Temperaturen. All dies ist sehr nützlich, um Impfstoffe, Antibiotika und andere Medikamente zu stabilisieren“, sagt David Kaplan von der Tufts University in Medford. Sein Forscherteam testete die Schutzwirkung des Seidenproteins zunächst an dem MMR-Kombinationsimpfstoff. Dieser besteht aus abgeschwächten Viren, die nach der Injektion nur dann die erwünschte Immunantwort im Körper auslösen können, wenn die räumliche Struktur ihrer Oberflächenproteine erhalten bleibt. Daher ist ein Zusatz von Stabilisatoren und eine kühle Lagerung erforderlich.

Eine Alternative bietet das als Trägermaterial eingesetzte Fibroin, Hauptbestandteil der Seide, die die Raupen des Seidenspinners beim Verpuppen produzieren. Es liegt in Form langer, vernetzter Molekülketten aus Aminosäuren vor. Innerhalb des Moleküls bilden sich zahlreiche winzige Hohlräume, in die keine Wassermoleküle eindringen können. Wenn die Virusproteine eines Impfstoffs – oder andere Substanzen – von diesen sogenannten hydrophoben Taschen umschlossen sind, stabilisiert das ihre dreidimensionale Struktur. Das Seidenprotein wirkt somit wie eine zur Verpackung von zerbrechlichem Material benutzte Luftpolsterfolie. Mit den zurzeit üblichen Zusätzen verliert der MMR-Impfstofff bei Temperaturen über 8 Grad schnell seine Wirksamkeit. Mit gelöstem Seidenprotein gefriergetrocknet, behielt der Impfstoff 85 Prozent seiner biologischen Aktivität, nachdem er sechs Monate lang bei 45 Grad gelagert wurde.

Auch die Stabilität zweier Antibiotika konnten die Forscher mit ihrer neuen Technik deutlich verbessern. Gelöstes Penicillin zerfällt normalerweise bei 37 Grad schon nach einem Tag. Auch Lösungen von Tetracyclin sind instabil und zudem lichtempfindlich. Nach Gefriertrocknung mit Fibroin blieb Tetracyclin bei Körpertemperatur vier Wochen lang stabil. Bei 60 Grad betrug der Aktivitätsverlust nach zwei Wochen nur zehn Prozent. Das Trägermaterial schützte die Tetracyclin-Moleküle auch vor dem zersetzenden Einfluss des Lichts. Mit dem Seidenprotein verbundenes Penicillin war sogar nach 30 Tagen bei 60 Grad noch stabil.

Diese Methode könnte sich als universell einsetzbar erweisen, denn bisher sei keine pharmazeutische Substanz gefunden worden, die dadurch nicht stabilisiert werden konnte, sagt Bruce Panilaitis, ein Mitglied der Forschergruppe. Wenn Versand und Lagerung vieler Medikamente und Impfstoffe nicht mehr – wie zurzeit – von einer ununterbrochenen Kühlkette abhängig wären, würde das nicht nur die Kosten erheblich senken. Die Menschen in den Entwicklungsländern könnten dann besser mit den dort besonders dringend benötigten Substanzen zur Vorbeugung und Behandlung von Infektionskrankheiten versorgt werden.

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Quelle: „Stabilization of vaccines and antibiotics in silk and eliminating the cold chain”, Jeney Zhang et al.; Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), DOI: 10.1073/pnas.1206210109


 

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