Schlechter Geruchssinn – naher Tod

„Wir vermuten, der Verlust des Geruchssinns ist wie der Tod des Kanarienvogels in der Kohlenmine“, sagt Jayant Pinto von der University of Chicago. Es sei ein frühes Warnsignal und zeige an, dass etwas Schlimmes passiert ist. Daraus ließe sich ein nützlicher klinischer Test entwickeln, der schnell und kostengünstig Patienten mit hohem Sterberisiko identifizieren kann. „Natürlich stirbt niemand, nur weil sein Geruchssinn geschädigt ist“, sagt Martha McClintock, die Leiterin des Forscherteams. Noch ist unbekannt, warum der Verlust dieser Sinneswahrnehmung mit einer verkürzten Lebensdauer zusammenhängt.
Die Studie erfasste Daten von etwa 3000 Männern und Frauen im Alter zwischen 57 und 85 Jahren. Die Auswahl war repräsentativ für die US-amerikanische Bevölkerung dieser Altersgruppe. In den Jahren 2005/06 wurden alle Probanden ausführlich befragt und auf ihren Geruchssinn getestet. Der Test bestand darin, die Gerüche von Pfefferminz, Fisch, Orangen, Rosen und Leder zu erkennen. Dazu rochen die Testpersonen an “Schnüffelstiften” – umfunktionierten Filzschreibern, die anstelle von Tinte jeweils einen der Geruchsstoffe enthielten – und wählten als Antwort eine von vier vorgegebenen Möglichkeiten aus.
Erwartungsgemäß waren die Ergebnisse umso schlechter, je älter ein Proband war. Zweidrittel der 57-Jährigen erkannten alle fünf Proben. Bei den 85-Jährigen gelang das nur noch einem Viertel. Insgesamt erzielten 78 Prozent aller Frauen und Männer vier oder fünf Treffer, was einer normalen Riechleistung entsprach. 3,5 Prozent lagen nur in einem oder gar keinem Fall richtig. Fünf Jahre später waren 430 Personen gestorben. Von denjenigen, die beim Riechtest am schlechtesten abgeschnitten hatten, starben 39 Prozent. Von denen mit normalem Geruchssinn waren es nur zehn Prozent. Nach Berücksichtigung von Einflussfaktoren wie Alter, Geschlecht, Bildungsstand, generelle Gesundheit, Ernährung, Tabak- und Alkoholkonsum hatten die Teilnehmer mit beeinträchtigtem Geruchssinn noch immer ein bis zu 3,4-fach höheres Sterberisiko als die Normal-Riecher. Bereits ein nur leicht verringertes Riechvermögen war mit einer erhöhten Sterbewahrscheinlichkeit im 5-Jahreszeitraum verbunden. Demnach ist ein gestörter Geruchssinn im Alter ein zuverlässigeres Warnsignal für einen nahen Tod als Herzschwäche, Krebs und Lungenkrankheiten. Lediglich ein schwerer Leberschaden erwies sich als ein noch deutlicherer Hinweis auf eine kurze Lebensdauer.
Ein stark nachlassendes Geruchsvermögen hat weitreichende Folgen. So sinkt, da dadurch auch der Geschmack beeinträchtigt ist, die Lust am Essen, was eine schlechte Ernährung begünstigt. Aus früheren Untersuchungen ist außerdem bekannt, dass eine geschädigte Geruchswahrnehmung neurodegenerative Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson ankündigt. Da der Riechnerv eine direkte Verbindung zwischen Außenwelt und Gehirn herstellt, könnten Giftstoffe, Viren oder Feinstaubpartikel der Luft auf diesem Weg auch in das zentrale Nervensystem gelangen und andere wichtige Körperfunktionen schädigen. Ein schlechtes Ergebnis beim Riechtest könnte ein Anzeichen für eine generell geschwächte Regenerationsfähigkeit des Körpers sein, vermuten die Autoren. Denn die Geruchsfunktion ist auf spezielle Stammzellen angewiesen, die sich ständig erneuern müssen. Ein beschleunigtes Absterben dieser und anderer adulten Stammzellen des Körpers wäre eine mögliche Ursache für das beobachtete erhöhte Sterberisiko.