Neuer Therapieansatz gegen Hirnmetastasen

Ein gut verträglicher pflanzlicher Wirkstoff verändert die Aktivität bestimmter Hirnzellen so, dass sie kein Tumorwachstum mehr ermöglichen
Zellen von Krebsmetastasen (grün) im Gehirn aktivieren den Stat3-Signalweg (rot) in reaktiven Astrozyten (weiß).
Zellen von Krebsmetastasen (grün) im Gehirn aktivieren den Stat3-Signalweg (rot) in reaktiven Astrozyten (weiß).
© CNIO
Madrid (Spanien) - Im fortgeschrittenen Stadium von Lungenkrebs und anderen Krebsformen dringen oft Tumorzellen in das Gehirn ein und bilden dort Metastasen. Dadurch verkürzt sich die Lebenserwartung des Patienten deutlich. In einem neuen Therapieansatz haben spanische Mediziner jetzt einen bereits bekannten pflanzlichen Wirkstoff eingesetzt, der die Krebszellen im Gehirn nicht direkt angreift, sondern die Aktivität bestimmter benachbarter Hirnzellen verändert. Das stellt die zuvor geschwächte Krebsabwehr wieder her und blockiert das Wachstum von Metastasen, berichten die Forscher im Fachjournal „Nature Medicine“. In einer kleinen Pilotstudie erwies sich eine solche Behandlung als erfolgreich und gut verträglich.

„Wir haben gezeigt, dass wir Hirnmetastasen erfolgreich behandeln können“, sagt Manuel Valiente vom Spanish National Cancer Research Centre in Madrid. „Diese Behandlungsform könnte für alle Typen von Hirnmetastasen geeignet sein – unabhängig vom Primärtumor, aus dem sie hervorgegangen sind.“ Normalerweise verhindern effektive Abwehrmechanismen, dass sich Krebszellen im Gehirn vermehren können. An dieser Abwehr sind spezielle aktivierte Gliazellen beteiligt, sogenannte reaktive Astrozyten. Ein Tumorwachstum ist nur dann möglich, wenn eingedrungene Krebszellen die Aktivität der reaktiven Astrozyten in der Umgebung zu ihren Gunsten beeinflussen können.

Die Forscher untersuchten Gewebeproben aus den Gehirnen von 91 Krebspatienten, deren Lungen- oder Brusttumore Hirnmetastasen gebildet hatten. Bei 89 Prozent der reaktiven Astrozyten in unmittelbarer Nachbarschaft der Metastasen war die Aktivität des STAT3-Proteins stark erhöht. Dieses Protein ist Bestandteil eines Signalwegs und schaltet Gene ein, die unter anderem die Immunabwehr regulieren. Wie weitere Untersuchungen zeigten, könnte dadurch die lokale Krebsabwehr geschwächt und so das Wachstum von Metastasen erleichtert werden. Das bestätigten Experimente mit genetisch veränderten Mäusen, deren reaktive Astrozyten keine STAT3-Proteine mehr bilden konnten: Bei diesen Tieren entwickelten sich aus ins Blut injizierten Krebszellen weniger Hirnmetastasen. Patienten hatten umso schlechtere Prognosen, je höher der Anteil an reaktiven Astrozyten mit aktiviertem STAT3 war.

Schon zuvor hatten die Forscher in einem neu entwickelten Screeningverfahren nach Wirkstoffen gesucht, die das Wachstum von Hirnmetastasen hemmen. Eine Substanz mit dieser Eigenschaft war Silibinin, ein Inhaltsstoff der Mariendistel, der bereits für andere medizinische Zwecke genutzt wird. Jetzt stellte sich heraus, dass Silibinin die STAT3-Aktivität in reaktiven Astrozyten von Mäusen blockiert und dadurch indirekt das Wachstum benachbarter Metastasen hemmt. Demnach aktivieren Tumorzellen, denen es gelingt, sich im Gehirn zu Metastasen weiterzuentwickeln, den STAT3-Signalweg von Astrozyten in ihrer Umgebung. Dadurch freigesetzte Botenstoffe wirken hemmend auf T-Zellen und Makrophagen, so dass der wachsende Tumor toleriert wird.

Schließlich überprüften die Wissenschaftler die Wirksamkeit von Silibinin bei 18 Patienten mit Lungenkrebs und Hirnmetastasen, die bereits durch Bestrahlung und Chemotherapie behandelt wurden. Die Personen nahmen Kapseln mit einem Silibininpräparat in unterschiedlicher Dosierung ein. Dabei kam es bei hoher Dosis lediglich zu Durchfällen als einziger Nebenwirkung. Bei drei Patienten verschwanden die Hirnmetastasen völlig, bei zehn schrumpften sie. Die durchschnittliche verbleibende Lebenserwartung lag bei 15,5 Monaten. Als Kontrolle dienten medizinische Daten von 38 vergleichbaren Patienten ohne Zusatztherapie, die im Schnitt nur noch vier Monate lebten. Bevor die neue Therapie klinisch eingesetzt werden kann, sind zunächst größere Studien nötig.

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