Neue Strategien im Kampf gegen Fettleibigkeit

Zunehmendes Übergewicht in der Bevölkerung muss in den Anfängen gestoppt werden - Prävention sollte schon während der Schwangerschaft beginnen
Auckland (Neuseeland) - Maßnahmen gegen Fettleibigkeit müssen viel früher ansetzen als bisher, teilweise schon vor der Geburt. Nur so ist die alarmierende Zunahme dieser Störung und damit verbundener Krankheiten wie Herzleiden, Diabetes oder Krebs in der Gesellschaft zu stoppen. So lautet das Fazit des Kommentars einer weltweiten Forschergruppe. Alle bisherigen Maßnahmen erwiesen sich demnach als wirkungslos, weil sie biologische und kulturelle Faktoren vernachlässigten, berichten die Wissenschaftlern im aktuellen Magazin "Science Translational Medicine". In Vorbereitung eines Treffens der UN-Generalversammlung im September hatten die Forscher mehr als 40 der aktuellsten Studien zu diesem Thema ausgewertet. Auslöser für die Versammlung der Vereinten Nationen ist die wachsende Bedrohung der Gesundheit durch Fettleibigkeit, insbesondere auch in Ländern mit geringem und mittlerem Durchschnittseinkommen.

"Die bisherigen Maßnahmen sind eindeutig unzureichend, die stetige Zunahme von Fettleibigkeit in der Gesellschaft zu stoppen", betont der Erstautor des Artikels, Peter D. Gluckman. Der Forscher vom Liggins Institute der neuseeländischen University of Auckland und seine Kollegen weisen darauf hin, dass immer noch die seit Jahrzehnten üblichen Strategien angewendet würden: Aber weder Ernährungs- und Diätprogramme noch erhöhte körperliche Aktivitäten hätten etwas am negativen Trend geändert. Hürden gegen ein Funktionieren der bisherigen Maßnahmen sehen die Autoren in den komplexen kulturellen, soziologischen, spirituellen und emotionalen Kräften, die das Thema Essen umgeben.

Außerdem zeigen Studien über dieses Thema kein einheitliches Bild, sondern weisen höchstens nach, dass Ernährung sehr individuell betrachtet werden muss. Als Beispiel verweisen die Forscher unter anderem auf die Tatsache, dass Menschen in Südasien bei einer vergleichbaren Fettleibigkeit ein viel höheres Risiko für Diabetes aufweisen als Europäer. Eine aktuelle Untersuchung belegt außerdem, dass es für die Schädlichkeit von Körperfett sehr darauf ankommt, wo es abgelagert ist - unter der Haut oder in und an den Organen. Auch Messungen wie der Body Mass Index (BMI) seien völlig ungeeignet, die individuellen Risiken abzuschätzen, sagen die Forscher.

Sie weisen darauf hin, dass Staaten viel größere Erfolge erzielen könnten, wenn die biologische Basis für Fettleibigkeit von den Verantwortlichen besser verstanden würde. Insbesondere müssten die Maßnahmen viel früher ansetzen, nicht erst bei Erwachsenen. In diesem Zusammenhang spricht sich Gluckmann dafür aus, die neuesten Erkenntnisse der Genetik und Entwicklungsbiologie mit einzubeziehen. Denn gerade diese hätten einen enormen Einfluss auf die individuellen Risiken der Fettleibigkeit. Der Forscher bezieht sich dabei neben Zwillings-Studien insbesondere auf die so genannte Epigenetik. Dabei handelt es sich um eines der heißesten Felder der aktuellen Genetik: Die Epigenetik untersucht die Auswirkung unserer Gene, die nicht von der grundsätzlichen Ausstattung unserer Erbanlage gesteuert werden. Vielmehr können offenbar äußere Einflüsse und unser Verhalten die Befehle unserer Gene verändern.

Dicke Mütter haben dicke Kinder

Laut Gluckmann bewirken die Gene selbst lediglich bis zu einem Sechstel der Fälle von Fettleibigkeit. Viel einflussreicher hingegen sei der Prozess, wie der Embryo, Fötus oder das Kind physiologisch auf seine Umwelt reagiert - insbesondere in frühen Phasen der Ernährung. Dabei haben schon die Essgewohnheiten und die Gesundheit der Mutter enorme Auswirkungen darauf, ob ein Mensch einmal fett wird oder nicht. So wurde inzwischen ein Gen gefunden, das bei Neunjährigen bis zu 25 Prozent Unterschied an Fettmasse verursacht, abhängig von der mütterlichen Aufnahme an Kohlehydraten in der frühen Schwangerschaft. Ist die Mutter fettleibig, erhöht das ebenfalls das Risiko des Kindes, dick zu werden.

Hat die Mutter einen Schwangerschafts-Diabetes, wird auch ihr Kind wesentlich wahrscheinlicher zuckerkrank. Selbst frühes Abstillen und der Übergang zur Flaschenfütterung erhöhen das Risiko für Fettleibigkeit schon in der Kindheit um ein Fünftel. Letztgenanntes Beispiel ist auch ein Beleg dafür, wie viel in diesem Bereich noch geforscht werden muss - beziehungsweise wie viel wiederum vom individuellen Verhalten abhängen könnte. Denn es ist noch völlig unklar, schreiben die Forscher, ob diese Fettleibigkeit von Überernährung, Wechsel des erlernten Verhaltens oder einer Änderung der Darmflora verursacht wird.

Weitere Gründe, warum bisherige Maßnahmen nicht greifen, sehen die Autoren unter anderem in der menschlichen Natur: "Menschen haben natürlich eine geringere Bereitschaft für Verhaltensänderungen, die aktuell einen hohen Einsatz abverlangen, deren Vorteile sich aber erst in ferner Zukunft auszahlen", so Gluckmann. Darüber hinaus seien in der Biologie des Menschen diverse Fallen eingebaut, etwa neurohormonelle Signale, die dafür sorgen, den Körper nach einer Diät leichter wieder dick werden lassen. Neben den bekannten Tatsachen, dass viele Menschen sich schlicht zu wenig bewegen und zu viele Kalorien zu sich nehmen, müsste ihr Körper auch noch gegen die eigenen Gene kämpfen. In der menschlichen Entwicklung sei der Mensch nämlich so programmiert worden, Fettreserven gegen Unterernährung anzulegen. Schließlich gebe es auch noch sozioökonomische Faktoren: Menschen mit geringem Einkommen leisteten sich häufig keine frische, gesunden Nahrungsmittel, sondern nur billigere, verarbeitete Produkte. Zudem hätten sie weniger Geld für die Vorsorge und eine Umstellung auf einen gesünderen Lebensstil.

Immerhin sehen die Forscher auch Chancen in den neuen Entdeckungen. Denn seien die Mechanismen erst einmal richtig verstanden, könne dieses Wissen genutzt werden, um Behandlungen besser zu kontrollieren. Würde dann noch bei den in der Schwangerschaft und frühen Kindheit häufigen Standarduntersuchungen die Ernährung von Müttern und Kindern mehr beachtet, wäre das auch gut für den Kampf gegen die Fettleibigkeit.

© Wissenschaft aktuell
Quelle: "Losing the War Against Obesity: The Need for a Developmental Perspective", Peter D. Gluckman et al.; Science Translational Medicine, Vol 3 Issue 93; doi: 10.1126/scitranslmed.3002554


 

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