Neue Hoffnung für eine Erdbeben-Warnung
Quentin Bletery von der Université Côte d’Azur und Jean-Mathieu Nocquet von der Université de Paris konzentrierten sich für ihre Studie auf 90 sehr starke Erdbeben mit Magnitude 7 und größer. Diese traten in den vergangenen Jahrzehnten in den hoch gefährdeten Küstenregionen rund um den Pazifik, im Norden der Türkei, in Iran und Indonesien auf. Für alle Beben griffen die beiden Seismologen auf GPS-Positionsdaten von insgesamt 3026 Messstationen zurück. Für ihre ausgeklügelten Analyse nutzten sie zeitlich hochaufgelöste Messungen, die bis zu 48 Stunden vor dem Beben aufgezeichnet wurden.
Die Messstationen zeichneten winzige Bewegungen der Erdoberfläche auf, die in den Bruchzonen der Bebenregionen auftraten. Die Stärke dieser Bewegungen lässt sich über das seismische Moment – wie das Drehmoment in Maschinen in Newtonmeter gemessen – bestimmen. Mit ihrer Analyse gelang es den Forschenden, aus den Messdaten die zeitliche Entwicklung des seismischen Moments in kurzen Abständen von fünf Minuten zu ermitteln. Das Ergebnis: Etwa zwei Stunden vor dem Hauptbeben stieg das seismische Moment exponentiell an.
In weiteren Schritten überprüften Bletery und Nocquet, ob dieses Verhalten signifikant war oder nur zufällige Veränderungen der Messwerte darstellten. Tatsächlich bestätigte die statistische Analyse, dass diese Messwerte nur mit einem verschwindend geringen Anteil von 0,3 Prozent mit zufälligen Schwankungen erklärbar waren. So bestehen gute Chancen, dass der exponentielle Anstieg des seismischen Moments zwei Stunden vor einem Beben für ein viel versprechendes Warnsignal taugen könnte.
Bevor diese Erkenntnis zu einer Bebenwarnung der Praxis führen kann, müssen allerdings noch weitere Untersuchungen folgen. Zudem basiert die Analyse ausschließlich auf Erdbeben der Vergangenheit. Für zukünftige Beben müsste sich diese Methode erst einmal bewähren. Zudem ist für diese Analyse mit hoher zeitlicher Auflösung ein engmaschiges Netz an Messstationen nötig, das noch nicht in allen Bebenregionen existiert. Doch sollten in Zukunft auch diese Hürden genommen werden, könnten mit einer Vorwarnzeit von zwei Stunden nicht nur Brücken und Gasleitungen gesperrt oder Kraftwerke heruntergefahren werden. Auch eine Evakuierung von Gebäuden und eine Flucht der betroffenen Bevölkerung in geeignete Schutzräume wäre möglich.