Meeresmikroben exportieren Fresspakete

Cyanobakterien schnüren mit Zellbestandteilen gefüllte Membranvesikel ab, die anderen Kleinstlebewesen als Nahrung dienen
Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme des marinen Cyanobakteriums Prochlorococcus mit Vesikeln an der Zelloberfläche
Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme des marinen Cyanobakteriums Prochlorococcus mit Vesikeln an der Zelloberfläche
© Steven Biller
Cambridge (USA) - Wie Pflanzen sind Cyanobakterien zu einer Photosynthese fähig, bei der Sauerstoff entsteht. Die im Meer vorherrschende Art dieser Mikroben, Prochlorococcus marinus, leistet aber nicht nur dadurch einen wichtigen Beitrag zum globalen Stoffkreislauf. Die Bedeutung der Winzlinge für die Nahrungskette der Meereslebewesen geht offenbar noch weit darüber hinaus, berichten amerikanische Biologen im Fachjournal „Science“. Während des Wachstums produzieren die Bakterien ständig kleine Vesikel, die anderen marinen Kleinstlebewesen als wertvolle Fresspakete dienen. Die kleinen, mit Proteinen, DNA und anderen Zellbestandteilen gefüllten „Ballons“ entstehen durch Abschnürung der Zellmembran. Bisher gibt es nur Vermutungen darüber, welche Vorteile die Cyanobakterien selbst davon haben.

„Prochlorococcus setzt einen Teil der aus Kohlendioxid und Sonnenlicht produzierten organischen Kohlenstoffverbindungen, in kleinen Paketen verpackt, ins Meerwasser frei. Es muss einen evolutionären Vorteil dafür geben. Wir haben uns vorgenommen herauszufinden, worin dieser besteht”, sagt Sallie Chisholm vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge. Im nährstoffarmen offenen Meer stellen die gefüllten Vesikel eine ergiebige Nahrungsquelle für andere Mikroben dar, die das Sonnenlicht nicht als Energiequelle nutzen können. Von den so angelockten Lebewesen könnten die Cyanobakterien möglicherweise profitieren. Denn ihnen fehlen bestimmte Enzyme, die vor aggressiven Sauerstoffverbindungen schützen. Die Nähe von Mikroben, die über solche Enzyme verfügen, fördert das Wachstum von Prochlorococcus – zumindest in Laborkulturen.

Die Forscher fanden die Vesikel sowohl in Wasserproben küstennaher Gewässer Neuenglands als auch im Wasser der Sargassosee. Sie schätzen die Zahl der global produzierten Vesikel durch Prochlorococcus auf täglich 10 hoch 27, das sind eine Milliarde mal eine Milliarde mal eine Milliarde Stück. Entdeckt wurden die kugeligen, etwa 0,1 Mikrometer großen Partikel durch elektronenmikroskopische Aufnahmen der im Labor angezüchteten Cyanobakterien. Im Verlauf einer Zellteilung bildet jede Prochlorococcus-Zelle zwei bis fünf Vesikel, die mindestens zwei Wochen lang stabil bleiben.

Da die Vesikel auch DNA und RNA enthalten, könnte eine ihrer Funktionen darin bestehen, Gene zwischen zwei Zellen zu übertragen. Genanalysen ergaben, dass Vesikel aus dem Meerwasser nicht nur DNA von Prochlorococcus, sondern auch von zahlreichen anderen Mikrobenarten enthalten. Offenbar kommt also die Freisetzung von Vesikeln im Meer nicht nur bei Cyanobakterien vor. Der Prozess könnte weit verbreitet sein und den sogenannten horizontalen Gentransfer, die Übertragung von Genen zwischen unterschiedlichen Spezies, erleichtern. Eine weitere, besonders interessante mögliche Funktion der Vesikel sehen die Forscher in der Abwehr von Viren: Da die Hülle der Vesikel aus denselben Molekülen aufgebaut ist wie die Bakterienhülle, könnten die Partikel als Köder für Bakteriophagen dienen, also für Viren, die Bakterien befallen. Dadurch würden die Mikroben weniger oft von diesen Parasiten angegriffen. Mikroskopische Aufnahmen bestätigten, dass sich Bakteriophagen an die Vesikel anheften und damit unschädlich werden.

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