Lemuren: Lebenslange Rastlosigkeit lässt Männchen früher sterben

Die Weibchen einer Lemurenart auf Madagaskar leben vermutlich deshalb länger als die Männchen, weil sie früher zur Ruhe kommen und ihr gewohntes soziales Umfeld dann nicht mehr verlassen
Männchen und Weibchen des Edwards-Sifakas sehen einander extrem ähnlich, so dass sie rein äußerlich nur schwer zu unterscheiden sind.
Männchen und Weibchen des Edwards-Sifakas sehen einander extrem ähnlich, so dass sie rein äußerlich nur schwer zu unterscheiden sind.
© Jukka Jernvall
Durham (USA) - Nach der Sturm- und Drangzeit der Jugendjahre nicht zur Ruhe zu kommen, könnte die durchschnittliche Lebenserwartung deutlich verringern – zumindest bei den Männchen einer Lemurenart auf Madagaskar. Dass Frauen im Schnitt länger leben als Männer, ist nicht nur beim Menschen, sondern bei vielen Spezies der Fall. Oft spielen Faktoren wie Hormone, Aggressivität oder schlicht das Aussehen eine Rolle dabei. Beim Edwards-Sifaka allerdings lassen sich aber keine solch offensichtlichen Ursachen dafür finden, dass kaum ein Männchen 19 wird, die Weibchen aber die frühen 30er erreichen. Beide Geschlechter haben vergleichbare Mengen des Geschlechtshormons Testosteron und lassen sich durchaus auf Kämpfe ein. Die Weibchen werden nahezu genauso groß wie die Männchen, beide haben in etwa dieselbe Fellfärbung und sind demnach gleich gefährdet, von Räubern entdeckt zu werden. Nicht zuletzt verlassen auch beide mehrfach im Leben ihr gewohntes soziales Umfeld und suchen sich eine neue Gruppe. Genau in dieser Hinsicht haben US-Forscher nun doch noch einen plausiblen Grund für die längere Lebenserwartung der weiblichen Tiere gefunden. Und der liegt im Timing: Während die Weibchen mit etwa elf Jahren zur Ruhe kommen und bei einer Gruppe bleiben, sind die Männchen nach wie vor rastlos und suchen immer wieder aufs Neue ein anderes Umfeld. Diese Risikofreude könnte ihnen zum Verhängnis werden, vermuten die Forscher. Nicht mehr ganz so fit wie noch in jungen Jahren, birgt ein Trip ins Ungewisse eben deutliche Gefahren. Ihre Analysen von Daten aus mehr als 20 Jahren Feldforschung präsentieren die Wissenschaftler im Fachblatt „Behavioral Ecology“.

„Wenn man ein sozial lebendes Tier ist und auf eigene Faust in unbekanntes Terrain loszieht, kann es schon mehr als nur eine bloße Herausforderung sein, etwas zu Fressen zu finden“, erläutert Mitautorin Jennifer Verdolin vom National Evolutionary Synthesis Center in Durham. „Noch dazu hat man nicht den Extra-Schutz durch andere Gruppenmitglieder, die dabei helfen können, nach Räubern Ausschau zu halten. Und selbst wenn sich eine neue Gruppe findet, der man sich anschließen kann, muss die Aufnahme möglicherweise erst erkämpft werden, was die Gefahr birgt, bei einem Kampf verletzt zu werden.“ Insbesondere bei älteren Tieren, die nicht mehr so gewandt sind und die sich von Verletzungen nicht mehr so schnell erholen, ist die Suche nach neuen Herausforderungen demnach besonders gefährlich und kann auch tödlich enden.

Gemeinsam mit der Erstautorin Stacey R. Tecot, Anthropologin an der University of Arizona, und weiteren Kollegen hatte Verdolin Daten über das Leben von Edwards-Sifakas (Propithecus edwardsi) analysiert, die über einen Zeitraum von 23 Jahren in einem Nationalpark im Südosten Madagaskars aufgezeichnet worden waren. Das Team betrachtete Geburts- und Todeszeitpunkte von 41 Weibchen und 34 Männchen sowie deren Verhalten bei der Verbreitung. Die Forscher stellten fest, dass Weibchen länger lebten als Männchen – sie wurden maximal 32, die männlichen Lemuren dagegen nur 19 Jahre alt. Im grundsätzlichen Verhalten fanden sich keine Unterschiede, jedoch im Timing über die Lebensspanne hinweg: Während die Weibchen mit etwa 11 Jahren nicht länger in die Fremde zogen, suchten die Männchen ihr ganzes Leben lang immer wieder neue Gruppen auf. Zwischen 13 und 18 stieg ihr Sterberisiko dann merklich an.

Warum die weiblichen Tiere sich endgültig niederlassen und die männlichen nicht, wissen die Forscher bislang nicht. Auf den Menschen sind diese Erkenntnisse sicherlich nicht eins zu eins übertragbar, um als ein weiterer Grund für die unterschiedliche Lebenserwartung von Mann und Frau in Frage zu kommen. Die Forscher geben aber zu bedenken, dass eine mit dem Alter verändernde Risikobereitschaft durchaus auch beim Menschen Einfluss auf die Sterblichkeit nehmen könnte und dies bei bisherigen Untersuchungen nicht in Betracht gezogen wurde.

© Wissenschaft aktuell
Quelle: „Risky business: Sex differences in mortality and dispersal in a polygynous, monomorphic lemur”, Tecot et al.; Behavioral Ecology, im Druck


 

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