Krebsmittel wirkt auch gegen Grippeviren

Experimenteller Wirkstoff für die Krebstherapie blockiert auch Signalwege in Lungenzellen, was deren Stoffwechselaktivität drosselt und so die Vermehrung von Influenzaviren hemmt
Das Influenzavirus (Schemazeichnung) ist zur Vermehrung auf den Stoffwechsel der Wirtszelle angewiesen.
Das Influenzavirus (Schemazeichnung) ist zur Vermehrung auf den Stoffwechsel der Wirtszelle angewiesen.
© OpenClipart-Vectors / pixabay.com, CC0 1.0 Universell (CC0 1.0), https://creativecommons.org/publicdomain/zero/1.0/deed.de
Memphis (Texas) - Virusinfektionen und Krebserkrankungen haben eine Gemeinsamkeit: Der Stoffwechsel der betroffenen Zellen ist stark aktiviert. Das ermöglicht im einen Fall die Produktion zahlreicher Viruspartikel, im anderen Fall ein Tumorwachstum durch beschleunigte Zellteilungen. Ein Wirkstoff, der die Stoffwechselaktivierung verhindert, könnte daher sowohl bei Krebs als auch bei Virusinfektionen nützlich sein, was aktuelle Arbeiten amerikanischer Mediziner jetzt bestätigen. Sie haben einen solchen Hemmstoff entdeckt und im Tierversuch erfolgreich zur Behandlung tödlicher Grippeinfektionen eingesetzt. Damit eröffnen sich völlig neue Behandlungsstrategien, schreiben die Forscher im Fachblatt „Cell Reports“.

„Anstatt einen Bestandteil der Viren selbst anzugreifen, haben wir uns darauf konzentriert herauszufinden, wie die infizierte Zelle ihren Stoffwechsel verändert“, sagt Paul Thomas vom St. Jude Children's Research Hospital in Memphis. Sein Forscherteam untersuchte die Lungen von 20 an Krebs erkrankten Kindern, die zusätzlich unter einer Grippe oder einer anderen Virusinfektion der Atemwege litten. Mit Hilfe der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) und anderer Verfahren stellten sie fest, dass die Infektion den Umsatz von Glukose und Glutamin in den Lungenzellen deutlich erhöht hatte. Nach Abklingen der Infektion normalisierte sich der Stoffwechsel wieder.

Daraufhin testeten die Forscher an Kulturen menschlicher Lungenepithelzellen die Wirkung von 80 Substanzen, die bestimmte Stoffwechselwege blockieren. Als interessant erwies sich allein der Wirkstoff BEZ235, der zurzeit noch in klinischen Studien für die Verwendung zur Kombinationstherapie von Krebstumoren geprüft wird. Die Substanz hemmt Enzyme (PI3K/mTOR) eines Signalwegs, der unter anderem die Glukoseverwertung steigert. Wurden mit Grippeviren infizierte Lungenzellen damit behandelt, entstanden wesentlich weniger neue Viruspartikel. Als Grund vermuten die Wissenschaftler, dass der Stoffwechsel nicht mehr genügend Energie und Baumaterial für die Herstellung der Virushüllen zur Verfügung stellen konnte. Das Eindringen der Viren in die Zellen und die Vermehrung ihres Erbmaterials verlief dagegen ungehindert. Auch in Versuchen mit Mäusen zeigte sich eine schützende Wirkung, wenn der Hemmstoff eine Woche lang täglich über das Trinkwasser verbreicht wurde. Die Behandlung linderte die Krankheitssymptome, verringerte die Virusproduktion in den Lungen und erhöhte die Überlebensrate von Tieren, die mit einer ansonsten tödlichen Dosis von Influenzaviren infiziert worden waren.

Bei Kleinkindern, alten Menschen und Patienten mit chronischen Erkrankungen oder geschwächtem Immunsystem kann eine Grippe, je nach Serotyp des Erregers, tödlich verlaufen. Für diese Personengruppen könnte die neue Strategie einer „indirekten“ Behandlung lebensrettend sein. Da die Therapie gegen Stoffwechselreaktionen der Wirtszelle gerichtet ist, sei – im Gegensatz zum Einsatz der sonst üblichen antiviralen Medikamente – die Gefahr einer Resistenzentwicklung gering, schreiben die Autoren. „Für die Therapie könnte ein Zeitfenster von mehreren Tagen bestehen, um das Risiko von Komplikationen zu verringern“, sagt Thomas. Weitere Untersuchungen sollen zeigen, ob das neue Wirkprinzip auch gegen andere virale Erreger von Atemwegsinfektionen, wie beispielsweise das Respiratory-Syncytial-Virus (HRSV), einsetzbar ist.

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