Im Winter schrumpft das Hirn

Bei der Waldspitzmaus schwankt die Größe der Hirnkapsel im Jahresverlauf – das könnte den Energieverbrauch unter ungünstigen Umweltbedingungen senken
Die Waldspitzmaus (Sorex araneus) verringert Körpergewicht und Kopfgröße im Winter.
Die Waldspitzmaus (Sorex araneus) verringert Körpergewicht und Kopfgröße im Winter.
© Karol Zub
Radolfzell - Wenn der Winter naht, verringern Waldspitzmäuse ihr Körpergewicht. Erstaunlicherweise schrumpfen dabei auch Schädel und Hirnmasse deutlich. Im folgenden Frühjahr beginnt die Hirnschale dann erneut zu wachsen und erreicht im Sommer fast wieder die Vorjahresgröße, berichten deutsche Biologen im Fachblatt „Current Biology“. Sie interpretieren die körperlichen Veränderungen im Jahreslauf als Anpassung an Nahrungsmangel und Kälte im Winter. Da die Tiere keinen Winterschlaf halten, senken sie auf diese Weise vorübergehend ihren Energiebedarf. Ob das die Hirnleistung im Winter einschränkt, ist noch nicht bekannt.

„Indem die Tiere die Größe ihres Schädels – und damit ihres Gehirns – verringern, könnten sie überproportional viel Energie einsparen, da das Gehirn sehr viel Energie verbraucht“, sagt Javier Lázaro vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell. Aus früheren Untersuchungen war bekannt, dass in Populationen der Waldspitzmaus (Sorex araneus) das Volumen der Hirnkapsel im Winter um bis zu 20 Prozent abnimmt. Das hätte man jedoch auch damit erklären können, dass im Winter mehr alte Mäuse mit größeren Schädeln sterben, so dass der prozentuale Anteil an jüngeren Tieren mit kleinen Schädeln steigt. Für das neue Forschungsprojekt sammelten Lázaro und seine Kollegen daher Daten von freilebenden Waldspitzmäusen, die sie durch einen implantierten Mikrochip individuell identifizieren konnten.

Im Verlauf eines Jahres erfassten sie Messdaten von zwölf markierten Jungtieren, die nach jedem Einfangen unter Narkose geröntgt, gewogen und wieder freigelassen wurden. Aus den Röntgenbildern ermittelten die Biologen Größe und Gewicht der Hirnkapsel und die Länge des Schädels. Bei den im Sommer gefangenen Tieren sanken diese Messwerte bis zum Winter um durchschnittlich 15 Prozent und erhöhten sich bis zum nächsten Sommer wieder um 9 Prozent. Parallel dazu verringerte sich das Körpergewicht zunächst um knapp 18 Prozent und war schon im Frühling wieder um 83 Prozent und damit über den Ausgangswert angestiegen. Unterschiede zwischen Männchen und Weibchen ergaben sich nicht.

Die Biologen vermuten, dass die zwischenzeitliche Abnahme von Körpergewicht und Hirnmasse den kurzlebigen Spitzmäusen hilft, zumindest ihren ersten Winter zu überstehen. Denn dadurch verringern sie ihren Ruhestoffwechsel, der nötig ist, um alle lebensnotwendigen Körperfunktionen aufrechtzuerhalten. Außerdem ist dann die Gefahr einer Schädigung durch mangelnde Nahrungsaufnahme geringer. Im Frühling dagegen ist es von Vorteil für den Fortpflanzungserfolg, wenn die Körpermasse schnell zunimmt und der Stoffwechsel angekurbelt wird. Es gebe Hinweise darauf, dass ähnliche Schwankungen der Kopfgröße auch bei anderen Tierarten wie zum Beispiel Wieseln vorkommen, schreiben die Autoren. Dabei wird wahrscheinlich Gewebe im Bereich der Nahtstellen zwischen den Knochen der Schädeldecke abgebaut, was zum Schrumpfen der Hirnkapsel führt. Im Frühjahr müsste es dann zu einer Regeneration von Knochengewebe kommen. Die genaue Aufklärung dieser Veränderungen könnte vielleicht helfen, so die Forscher, degenerativen Prozessen im Skelett und in anderen Geweben entgegenzuwirken.

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