Gib ihm Saures!

Saure Geschmacksstoffe steigern die Risikobereitschaft und könnten daher ängstlichen oder depressiven Menschen helfen, ihre Lebensqualität zu verbessern
Saures macht risikofreudig.
Saures macht risikofreudig.
© RyanMcGuire / pixabay.com, CC0 1.0 Universell (CC0 1.0), https://creativecommons.org/publicdomain/zero/1.0/deed.de
Brighton (Großbritannien) - Der Geschmackssinn ermöglicht es, genießbare Nahrung zu erkennen und vor schädlicher Nahrung zu warnen. Damit verbunden sind positive oder negative Gefühle. So signalisiert ein bitterer oder saurer Geschmack Gefahr für die Gesundheit und erfordert eine Entscheidung: Entweder das Risiko in Kauf nehmen und weiteressen oder auf Nummer sicher gehen und ausspucken. Dieser Zusammenhang veranlasste britische Forscher zu untersuchen, ob bestimmte Geschmacksempfindungen das Risikoverhalten beeinflussen könnten. Tatsächlich erhöhte ein zuvor verabreichtes saures Getränk die Risikobereitschaft von Testpersonen in einer Spielsituation. Möglicherweise könnten Menschen mit Angststörungen oder Depressionen von einem Nahrungszusatz profitieren, der Sinneszellen für Saures stimuliert, berichten die Wissenschaftler im Fachblatt „Scientific Reports“.

„Es gehört zu unserem Alltagsleben, Risiken einzugehen, und täten wir das nicht, könnten wir keine neuen Fähigkeiten erlangen und würden nicht lernen, uns in neuen Situationen zurechtzufinden“, schreiben Chi Thanh Vi und Marianna Obrist von der University of Sussex in Brighton. Die Ergebnisse ihrer Studien wiesen darauf hin, dass saure Geschmacksstoffe risikoscheue Menschen dazu anregen könnten, neue Chancen zu nutzen und vielleicht ein glücklicheres Leben zu leben. Neben seiner Schutzfunktion bei der Ernährung sei der Geschmackssinn eng mit Gefühlen von Strafe und Belohnung verbunden. Frühere Untersuchungen hätten gezeigt, dass es sogar eine Verbindung mit zwei grundlegenden Formen von Denkprozessen gibt: Demnach begünstigt ein saurer Geschmack eine analytische Entscheidungsfindung. Dagegen stimulieren Empfindungen von süß und bitter schnelle intuitive Entscheidungen.

Am ersten Experiment beteiligten sich 70 britische Männer und Frauen im Alter von durchschnittlich 25 Jahren. Zunächst ermittelten die Forscher durch zwei psychologische Tests das generelle Risikoverhalten jedes Einzelnen. Dazu wurden Persönlichkeitsmerkmale wie Abenteuerlust, Impulsivität, Enthemmung, Aufmerksamkeit und Selbstkontrolle bewertet. Unmittelbar vor Beginn des eigentlichen Experiments trank jeder Teilnehmer 20 Milliliter einer Lösung, die entweder bitter, salzig, sauer, süß oder umami (würzig-fleischig) schmeckte. Mineralwasser diente als Kontrolle. Dann absolvierte jeder ein standardisiertes Computerspiel, das der Messung der Risikobereitschaft dient. Die Aufgabe besteht darin, per Mausklick einen Ballon auf dem Bildschirm möglichst stark aufzupumpen. Mit jedem Klick nimmt sein Volumen zu, bis er irgendwann platzt. Je größer der Ballon beim selbstgewählten Abbruch des Spiels ist, desto höher der reale Geldgewinn des Spielers. Platzt der Ballon, geht der Spieler leer aus. Eine Testreihe bestand aus jeweils 30 Versuchen. Je höher die Klickzahl für alle nicht explodierten Ballons, desto größer war die Risikobereitschaft.

Sowohl die nach dem generellen Persönlichkeitsprofil sehr risikofreudigen als auch die weniger risikofreudigen Personen reagierten ähnlich auf den Geschmack des Getränks. Der saure Drink führte, verglichen mit dem Wasser, zu riskanterem Spielverhalten: Hier betrug die Klickzahl im Schnitt insgesamt 39 pro intaktem Ballon, in den anderen Fällen lag sie nur zwischen 20 und 30. Schmeckte das Getränk süß oder umami, verringerten die Spieler ihr Risiko im Vergleich zum Wasser. Das bittere und salzige Getränk veränderte das Spielverhalten nicht. Die Forscher wiederholten das Experiment mit einer gleich großen Gruppe vietnamesischer Männer und Frauen – und erhielten ähnliche Ergebnisse. Menschen aus einem anderen Kulturkreis, die mehr an glutamathaltige Speisen mit Umami-Geschmack gewöhnt sind, reagierten also auf die fünf Hauptgeschmacksqualitäten so wie Westeuropäer auch. Die Wahrnehmung eines sauren Geschmacks erhöhte die Risikofreude sowohl bei mehr analytisch denkenden als auch bei eher intuitiv denkenden Teilnehmern, wie zusätzliche Tests ergaben. Weitere Studien müssten prüfen, ob eine Ernährung mit einem erhöhten Gehalt an sauren Geschmacksstoffen die generelle Risikobereitschaft steigern und so vielleicht Angstgefühle verringern könnte.

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