Für mehr Land: Schimpansen gehen über Leichen

Beobachtungen aus einer Langzeitstudie bestätigen die Vermutung, dass die nächsten Verwandten des Menschen töten, um ihre Gebiete zu erweitern
Ann Arbor (USA) - Es mutet an wie Methoden aus dem finstersten Mittelalter, als Burgherren für mehr Land schlicht und ergreifend die Festung ihrer Nachbarn angriffen: Schimpansen gehen tatsächlich über Leichen, um ein größeres Territorium zu bekommen. In regelrechten Gangs fallen sie brutal über Artgenossen her, töten sie und nutzen das eroberte Gebiet anschließend zum Leben, für Streifzüge und für die Futtersuche. Das haben amerikanische Anthropologen in einem Nationalpark in Uganda bei den Tieren beobachtet und schildern Ihre Feldstudien im Fachblatt "Current Biology". Sie bestätigen damit Vermutungen, dass dieses brutale Verhalten der Ausweitung des Territoriums dient.

"Auch wenn einige frühere Beobachtungen diese Hypothese zu bestätigen schienen, fehlten uns bisher eindeutige Beweise", erklärt John Mitani von der University of Michigan. Mitani und seine Kollegen hatten rund zehn Jahre lang eine etwa 150 Tiere starke Gruppe von Schimpansen aus dem Ngogo-Gebiet im Kibale National Park in Uganda beobachtet. Dabei waren die Forscher Zeugen von 18 verheerenden Attacken dieser Schimpansengruppe geworden. Im Sommer 2009 fingen die Ngogo-Schimpansen, von denen diese Übergriffe ausgegangen waren, auch tatsächlich an, das Gebiet in Beschlag zu nehmen, in dem zwei Drittel dieser Angriffe stattgefunden hatten. "Als sie anfingen, in dieses Areal zu ziehen, brauchte es nicht lange, um zu begreifen, dass sie dort eine Menge anderer Schimpansen getötet hatten", erzählt Mitani. "Unsere Beobachtungen helfen, lange offene Fragen über den Zweck tödlicher Aggressionen zwischen Schimpansengruppen zu beantworten." Die meisten Todesopfer sind dabei Jungtiere - weil sie die leichtesten Ziele sind, vermutet Mitani.

Mitanis Kollegin Sylvia Amsler, Anthropologin an der University of Arkansas in Little Rock, schildert einen der Angriffe, den sie auf einer Routinepatrouille der Ngogo-Schimpansen beobachten konnte: "Sie waren seit mehr als zwei Stunden auf Patrouille außerhalb ihres Territoriums, als sie eine kleine Gruppe Weibchen von der Gemeinschaft aus dem Nordwesten überraschten. Beinahe augenblicklich beim Kontakt fingen die erwachsenen Männchen des Patrouillen-Trupps an, die unbekannten Weibchen anzugreifen, von denen zwei noch unselbständige Junge trugen." Dabei packten die Angreifer eines der Jungen und töteten es recht schnell. Etwa 30 Minuten lang versuchten sie erfolglos, auch das andere Junge zu ergreifen. Nach einer Pause, in der sie das Weibchen gefangen hielten, nahmen sie ihre Versuche wieder auf. "Auch wenn sie keinen Erfolg hatten, das andere Junge seiner Mutter zu entreißen, war das Jungtier offensichtlich sehr schwer verletzt", erzählt Amsler. "Wir glauben nicht, dass es überleben konnte."

Die Forscher sehen in dem beobachteten äußerst brutalen Verhalten allerdings eher die Ursprünge des Teamworks als die der Kriegsführung. Das Verhalten könne laut Mitani einen Einblick liefern, warum der Mensch als Spezies so ungewöhnlich kooperativ ist. "Die tödliche Aggression zwischen Gruppen, die wir erlebt haben, ist kooperativer Natur, insofern als sie Zusammenschlüsse von Männchen einschließt, die andere angreifen. In diesem Vorgang haben unsere Schimpansen mehr Land und Ressourcen erworben, die dann an andere in der Gruppe weiter verteilt wurden."

(c) Wissenschaft aktuell
Quelle: "Lethal intergroup aggression leads to territorial expansion in wild chimpanzees", John C. Mitani et al.; Current Biology (im Druck)


 

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